Die Kudos für diese Institution gehen wie immer an Frau Brüllen.
Gegen viertel vor sieben mit dem Gefühl aufgewacht, unter einem Dampfhammer geschlafen zu haben. Was vermutlich auch stimmt, denn ich war relativ früh im Bett gestern und schlief sogar recht schnell ein. Warum also Kopf- und Gliederschmerzen, Körper? Hm? Glücklicherweise schlief ich noch einmal eine halbe Stunde, bis der Wecker mich endgültig aus dem Schlaf riss. Nach Dusche und etwas unwilligem Vor-dem-Schrank-stehen-und-nicht-wissen-was-anziehen fand ich dann doch ein Sommerkleid, in dem mein aktueller Minibauch weniger zu sehen ist.
Ich machte mir Kaffee und Frühstück (Toast mit Käse und scharfer Salami) und setzte mich noch einmal eine halbe Stunde bis um neun an den Computer. Gestern hat endlich die unglaublich besch… agierende Bank das Dokument mit einer kompletten Kontoübersicht und Zuordnung der Eigentümer geschickt. Nach nur zwei Monaten, fünf schriftlichen Anträgen, gefühlt 100 transkontinentalen Telefonaten, einer Rechtsanwaltsintervention und etlichen Nerven haben sie es geschafft. Danke für nichts, ich war die längste Zeit Kundin.
Um kurz nach neun schnappte ich mir mein Fahrrad und fuhr das erste Mal damit zur Arbeit. Die Stadt hat einen sehr unsicheren Radweg in einen halbwegs sicheren Radweg umgebaut. Seit Beginn der sozialen Krise und dem temporären Ausfall der öffentlichen Verkehrssysteme sind übrigens viele aufs Rad umgestiegen. Eine Verkehrszählung in meiner Straße ergab, dass sich die Zahl der Radfahrer in der Peak hour verdreifacht hat! Ob das eine dauerhafte Entwicklung ist, wird sich zeigen. Einige meiner Freunde fahren jedenfalls weiterhin Rad, obwohl ihre U-Bahnverbindung wieder funktioniert. Ja, so kann man die Verkehrswende auch herbeiführen…
Der Vermieter der Redaktionsräume hatte mir gestern den Schlüssel zu seiner Garage gegeben, sodass ich mein Fahrrad in einem Luxusschuppen unterbringen kann. Dafür habe ich ein bisschen mit den Augen geblinkert und die Gringa ausgepackt. Solange das noch geht, kann’s mit dem Alter noch nicht so schlimm sein. Körper, hörst du mich?
Dann um halb elf Redaktionssitzung mit allen, um in einem Kreativworkshop Ideen für die Features, Do’s and Dont’s der neuen Website zu sammeln. Eigentlich könnte man ja eine Kommunikationsagentur… Aber nun ja, wir sind in Chile, das Geld ist knapper und der Anspruch der Wochenzeitung nicht der einer Tagespostille. Danach erledigte ich bis um 14 Uhr das Einstellen der Online-Artikel und schrieb einen eigenen Text zu Ende. Gegen halb drei war ich wieder Zuhause und fummelte mir aus Couscous, Thunfisch und Tomatensauce eine Magenfüllung zusammen. Bevor ich einen Mini-Mittagsschlaf hielt, reservierte ich noch schnell per Telefon einen Tisch für die Mädelsrunde heute Abend. Online war schon alles ausgebucht, aber die nette Dame am Telefon machte es möglich. Ich habe mittlerweile überhaupt keine Angst mehr auf Spanisch zu telefonieren. Meistens sind meine Gesprächspartner so nett und drosseln ihr Sprechtempo, dann klappt es auch.
Nach dem Mittagsschlaf setzte ich mich um halb vier wieder an den Schreibtisch und erledigte noch einige Korrespondenz für Schul- und andere Projekte und hielt Rücksprache mit dem Chef.
Um viertel nach sieben schwang ich mich auf mein Fahrrad und stürzte mich in den gar nicht mal so schlimmen Feierabendverkehr. Vor dem Lokal stand bereits die A. und wartete. Sie war aus dem Homeoffice gekommen und erklärte sogleich, dass sie den ganzen Tag nichts zustande gebracht habe und dies mit einem kühlen Espumante schön trinken wolle. Gesagt, getan. Wir bekamen unseren reservierten Tisch im ersten Stock, direkt am Fenster, was bei abendlichen 26 Grad immer Gold wert ist. Nach und nach trudelten die anderen Mädels ein, es wurde ausgiebig über einen gemeinsamen Freund gelästert, der sich in gewohnter Manier zum Horst gemacht hatte. Hier wird wirklich gerne über andere Leute gesprochen, das muss man wissen und ist Schlüssel zur Seele der Latinos. An die direkten Fragen nach meinem Privatleben habe ich mich mittlerweile übrigens gewöhnt und habe bei zu indiskretem Nachbohren die ein oder andere Replik parat. (Es geht in der Regel um Kinderlosigkeit und aktuelle Lover.)
Nach ein, zwei Bierchen, Cocktails oder Espumante kamen wir zu den wirklich wichtigen Dingen: wohin fahren wir an den Strand und wohin fahren wir danach an den Strand. Wir hatten für Anfang Januar einen Tag am Meer vorgesehen, den wir aber nur dann durchführen können, wenn alle eine Mitfahrgelegenheit haben. Als das dann geklärt war, ging es um die Wünsche für 2020. X. (Kolumbianerin) will einen neuen Job, einen mit mehr Verantwortung und Fortbildungsmöglichkeiten. Ihr langfristiges Ziel: aus ihrem Buchhalterinnendasein eine Wirtschaftsprüferkarriere machen. C. (aus Bolivien) findet, dass sie immer noch zu wenig reist und wünscht sich eine Gehaltserhöhung an ihrer Uni, damit sie nächstes Jahr unbeschwert nach Portugal, Spanien und Marokko fliegen kann. A. (Peru) will mit ihrem Freund zusammen ziehen, aber nichts überstürzen. Sie wünscht sich, dass ihr neuer Chef genauso super ist wie der alte. Und F. aus Chile hat mit 45 Jahren dann doch endlich den Wunsch, in einer eigenen Wohnung zu leben. Und ein Motorrad will sie sich kaufen. Wir hatten schon überlegt, gemeinsam auf Tour zu gehen. Dafür müsste ich 2020 aber das machen, was ich schon seit 2018 vor mir herschiebe: den chilenischen Führerschein. Derzeit fahre ich hier immer noch mit meinem internationalen herum, was ich aber nicht mehr dürfte…
Tja, und nach meinem Wunsch für 2020 gefragt, antwortete ich: meine Wurzeln einpflanzen, in die eigene Erde, einen Hund adoptieren und den Mann finden, der mir ebenbürtig und mindestens genauso bekloppt wie ich ist. Sie können sich ja vorstellen, wie das mit den Wünschen ist. Vielleicht fange ich mit dem Hund an. Oder dem Haus. Naja, wer braucht schon einen Bekloppten an seiner Seite!
Um viertel nach elf verabschiedeten wir uns voneinander und ich schob mein Fahrrad an der Seite von C., die nur knapp 200 Meter von mir entfernt wohnt, nach Hause, wo ich um Mitternacht einschlief.