Es ist eine halbe Ewigkeit her, dass ich den 5. eines Monats verbloggen konnte. Danke an Frau Brüllen, dass es diese schöne Tradition immer noch gibt.
Der Wecker klingelte um 7.20 Uhr. Anders als sonst war ich heute nicht schon zwanzig Minuten vor dem Klingeln wach, sondern sehr erschrocken über das Wachwerden. Mir steckte wohl noch der fehlende Schlaf von gestern Nacht in den Knochen. Ich hüpfte unter die Dusche, froh, dass ich keine Haare waschen musste, denn ich würde heute noch einen Friseurtermin haben.
Um viertel nach neun und einen leichten Stau später traf ich in der Schule ein und konnte sogar noch kurz vor Unterrichtsbeginn die Anwesenheitsliste vervollständigen. Man kommt ja zu nichts. Um halb zehn pfiff ich die pausierenden SchülerInnen in den Klassenraum. Es ist immer wieder erstaunlich, wie flott alles mit akustischen Signalen geht. Mir ist es völlig wurscht, ob das pädagogisch wertvoll ist oder nicht. Wir haben ein Pensum durchzuziehen und das setzt Pünktlichkeit voraus. (Ich schicke voraus: es sind volljährige, aber immer noch nicht wirklich erwachsene SchülerInnen. Und es sind Chilenen.) Das Projekt, an dem sie schon ein halbes Jahr arbeiten, ist auf dem Weg der Fertigstellung und nach den anstrengenden letzten zwei Wochen musste ich einigermaßen Motivation versprühen, wenn sie schon die Klasse nicht mehr hat. Viele von meinen SchülerInnen haben mitdemonstriert und hautnah erlebt, wie Tränengas brennt und Erstickungspanik hervorrufen kann. Eine Schülerin hat sich im Erste-Hilfe-Team betätigt und Gummigeschossopfer versorgt. Ein anderer Schüler ist bei der freiwilligen Feuerwehr und wir sind alle sehr stolz und dankbar, dass es Menschen wie ihn gibt. Seine Fehlzeiten werden ihm nicht angerechnet, das ist eine Ausnahmesituation hier. Die Dokumentationsgruppe unter meiner Leitung bekam ein Mini-Briefing zur Nutzung von Hashtags und Metainformationen und machte sich einigermaßen eifrig an die Umsetzung. Danach hatte ich zwei Stunden Pause, die ich mit der Vorbereitung des C1-Kurses verbrachte. Das Thema: Werbung und Marketing sowie Weiterführung eines Projektes zum Thema „Merchandising und Give Aways in Bildungsinstitutionen“. Um kurz nach zwölf staunte ich nicht schlecht, als die Klasse vollzählig erschien und die in der vergangenen Woche mit zwei (!) Schülern begonnene Kreativarbeit mit viel Eifer vorantrieb. So macht fächerübergreifender Sprachunterricht Spaß!
Das Mittagessen musste ausfallen, weil ich besagten Friseurtermin hatte. Gottseidank ist der Salon nur fünf Minuten von der Schule entfernt. Ich hatte mich gestern Abend spontan mit der WhatsApp-Nachricht „Ich brauche neue Haare“ bei ihr gemeldet und sie hatte doch tatsächlich noch einen Termin frei. Neue Haare bekam ich nicht, aber dafür Farbe auf die weißen Schläfen und geschnittene Spitzen. Wir ratschten ein wenig und stellten erleichtert fest, dass wir nicht alleine sind mit dem Gefühl, dass wir ein wenig das Vertrauen in das Land verloren haben.
Um vier war ich Zuhause, wo ein Telefontermin mit der in Deutschland weilenden Chefin* wartete. Wir sprachen kurz die Themen der kommenden Ausgabe der kleinen Wochenzeitung und meine erste Dienstreise durch. Nächste Woche geht es für mich zwei Tage in den Norden zu einer Tagung. Ans Meer, was mich jetzt nicht ganz unfroh macht. La Serena besitzt einen sehr langen, breiten Strand und ist ein beliebtes Urlaubsziel. Ich bin ja nicht zum Spaß dort, aber… es geht schlimmer.
Ich schlang in aller Eile einen Käsetoast herunter, schnappte mein plattes Fahrrad und lief zum Bike-Bruder, der gegen ein Mini-Trinkgeld nicht nur die Schläuche flickte sondern auch die Bremsen überprüfte. Guter Laden, der. Da hatte ich Glück. Danach wollte ich unbedingt noch in einen Laden, der mir letztens aufgefallen war. Im Schaufenster hingen nämlich hübsche Sommerkleider, die nicht so furchtbar supersexy wie hier üblich aussahen, sondern tragbar. Ich probierte einige Oberteile und Kleidchen an und entschied mich schließlich für FARBE! Ja, Sie haben richtig gelesen. Die schwarze Witwe trägt auf einmal Rot, Türkis und ein Musterkleid! Letzteres ist mir im Nachhinein etwas kurz, daher bringe ich das am Freitag zur Schneiderin und lasse mir einen fünf Zentimeter längeren Saum in Schwarz annähen. Dann geht das auch fürs Büro oder in die Schule und nicht nur an den Strand.
Ich koordinierte noch ein wenig mit dem Chef** herum. Die Hongkong-Reise musste in den August kommenden Jahres verschoben werden. Anders geht es gerade nicht mit den Protesten hier und den Protesten dort. Wer weiß, was bis dahin ist, aber aktuell wollen die Ausbildungsunternehmen nichts dazusponsoren. Da bleibt also noch ein Gutteil Überzeugungsarbeit.
Gegen 18 Uhr erreichte mich die Nachricht, dass der Hausberg von Santiago, der Cerro San Cristobal, in Flammen stehe. Bereits letztes Jahr war die Trockenheit Grund für einen Waldbrand. Die Dürre fordert immer wieder Opfer: der Besitzer der Hacienda, wo wir für das Theaterstück proben, musste bereits Rinder notschlachten, weil sie nichts mehr zu fressen fanden. Und wir stehen erst am Anfang der Klimakatastrophe.
Ich machte mir schließlich etwas zu essen, was ich schon immer mal probieren wollte: gebratenen Salat. Mit Sojasauce ist das ganz genießbar, aber das nächste Mal „verbrate“ ich den Salat dann doch lieber wieder klassisch. Um 20 Uhr machte ich mich an die restliche Buchhaltung für den Nachlass. Rechnungen mussten bezahlt werden und der Nachlassverwalter über neue Post (dankenswerterweise von der wirklich tollen Nachbarin aus dem Postkasten geholt und gescannt) informiert werden. Danach sah ich eine Dokumentation über historische Königinnen und mächtige Herrscherinnen in England an, bevor ich gegen zehn ins Bett ging.
*Chefin: Redaktion
**Chef: Berufsschule
Vielen Dank für deinen WMDEDGT-Beitrag: Es ist großartig, dich einen Tag lang zu begleiten.