Steine haben den unschätzbaren Vorteil, dass sie ihrer Umwelt gegenüber eher unemotional reagieren. Ich nehme sie mir also dann und wann als Vorbild. Dann und wann ist zum Beispiel, wenn mich ein Anruf vom, nennen wir ihn der Einfachheit halber, „Altstar“ ereilt. Das „Wann“ kann durchaus schon früh am Morgen sein, also noch vor dem ersten Kaffee, was in sich eine gewisse Gefahr birgt. Ich bin nämlich morgens eher schlecht gelaunt, dieses Aufstehen bekommt mir nicht, der Berufsverkehr lässt mich das Ende der Menschheit herbeiwünschen und, wie erwähnt, Anrufe vor 9 Uhr sind an und für sich schon eine ziemliche Zumutung.
Exkurs: Wie machen das eigentlich Menschen, die ihren Dienstbeginn freiwillig auf kurz nach 7 Uhr legen? Gibt es Drogen, von denen ich nichts weiß? Eine bestimmte, leistungssteigernde Religion, der man gegebenenfalls beitreten kann?
Wie auch immer, der Altstar rief heute Morgen an. Körperlich dem Alter näher als der Jugend, buntvogelig gekleidet und mit einer Ich-war-früher-mal-Rocker-Attitüde gesegnet, begleitet er den Chef durch die beruflichen Anforderungen, berät mal hier, informiert unter der Hand mal dort und lässt sich die Gerüchteküche bei Vertragsabschluss in barer Münze entgelten. Grundsätzlich finde ich das okay, solange mich jener Herr meine Arbeit machen lässt.
Und hier kommt das oben erwähnte „Dann“. Anlass war eine Image-Firmenbroschur, gemeinsam entwickelt und in Form gebracht mit einer sehr guten Agentur. Ich denke, Qualität in diesem Bereich kann ich nach fast 20 Jahren Berufserfahrung einschätzen und fordere sie auch ein. Nun sieht das der Altstar eher so, dass seine mehr als 40 Jahre Berufserfahrung in einem ganz, ganz anderen Bereich dafür prädestinieren, mir gegenüber diese qualitätsvolle Hochglanzbroschur als „Aldi-Blatt“ zu bezeichnen.
Das ist der Moment, in dem ich gern zu Stein würde. Einem sehr höflichen Stein, dem solche Worte wie Wasser abperlen. Leider bin ich aber ein eher unsicherer Stein, der zuerst einmal überprüft, ob die Kritik nicht berechtigt ist: War das Papier zu billig? (Nein.) Wie haben die Kunden/Investoren/Multiplikatoren die Broschur eingeschätzt? (Überrascht, dass ein Mittelständler so potent ist.) Bin ich zu arrogant, zu kritikunfähig, bin ich am Ende etwa zu ungeduldig zu anderen Menschen? (Letzteres ja, aber ich verschwende einfach ungern meine Zeit damit, Dumme schlau zu machen. Naja, und arrogant bin ich damit wohl auch. Aber egal.)
Ich werde meine Stein-Qualitäten wohl noch etwas verbessern müssen. Irgendwann bin ich dann hart wie Granit und der Altstar und weitere seiner Art werden sich ihre Zähne an mir ausbeißen. Bis dahin singe ich leise mein Mantra: „Ich bin ein Stein. Ich bin ein Stein. Ich bin ein…“
Ach, ich bin mir gar nicht so sicher, ob Steine über so wenig Bewusstsein verfügen, wir wir ihnen gerne unterstellen.
Ich habe mir angewöhnt – notgedrungen aus dem Lernen des letzten Jahres unter Beobachtung dessen, was mich schmerzt und ich mich kaum abgrenzen kann – in die Konfrontation zu gehen. Die, interessanterweise, hat man es mal zwei, drei Mal gemacht, auch gar nicht mehr schwer fällt.
Ich frage solche Leute direkt, warum sie meinen, mir mit ihrer Äußerung weh tun zu müssen; zu wollen. Was sie damit bezwecken, welches Problem sie genau haben. Interessanterweise sind 99 % der von mir Angesprochenen in dem Moment sofort völlig erschrocken (über sich selbst), werden sehr klein, entschuldigen sich, stammeln rum. Es ist so, als würde man sie gelegentlich vom Baum holen auf dem sie sich schon länger gar nicht mehr so wohl gefühlt haben – aber auch keine Ahnung mehr hatten, wie sie davon runterkommen könnten.
Meist gehe ich dann aus der Situation raus mit der Erkenntnis, das galt gar nicht mir, das war gar nicht bezweckt.
Wenn ich „gemeinsam entwickelt” korrekt so verstanden habe, dass der Altstar in dem Prozess eingebunden war, wäre die erste Frage gewesen, warum er seine eigene Arbeit eigentlich so negiert, warum es ihm so schwer fällt, diese als einen Erfolg für sich zu begreifen; warum er meint, mit seiner Äußerung die Arbeit seiner Kollegen so unter das Licht zu stellen.
Das wären drei Fragen gewesen mit denen er gut beschäftigt gewesen wäre. Bei diesem speziellen Charakter würde eher nie eine Antwort kommen. Aber die Grenze, denke ich, hätte er schon erkennen können.
Ich habe übrigens absolutes Vertrauen in Deine Arbeit und in die Qualität der Broschüre. Lass Dir durch so einen Arsch Deinen Erfolg nicht kaputt machen, wahrscheinlich ist es genau der nachdem er so giert, den er für sich aus bestimmten Gründen eher nicht empfinden kann, weil substantiell übertüncht.
Also bitte, bevor Du Dir von so einem Depp das nächste Mal wieder das Kleid des unsicheren Steines überstulpen lässt, das Dir eh nicht steht, fragst Du vorher uns, ja?
Ich muss Dir unbedingt eine Kackbratzen-Voodo-Puppe nähen!
Der Altstar hat mit der Broschur nicht das Geringste zu schaffen, mal abgesehen davon, dass er nur ein externer „Berater“ ist. Ich lasse mich nicht mehr in Auseinandersetzungen mit solchen Menschen ein, die mich weder besonders interessieren, noch mir privat wichtig sind, gehe also gar nicht erst in diese Diskussionen rein. Die Erkenntnis, dass gefühlt 90 Prozent aller Probleme Kommunikationsprobleme als Ursache haben, hilft bei solchen Menschen leider nicht. Da bin ich lieber ein unkommunikativer Stein und lasse abperlen.
Gut, dann war das mit der Broschüre ein Missverständnis. Er hat dennoch nicht die Arbeit von anderen nicht wertzuschätzen und das kann ihm auch deutlich kommuniziert werden. Es geht nicht darum, dass er irgendwas kapiert oder lernt. Es geht lediglich darum, dass er die Grenze begreift, die Du nicht mehr von ihm überschreiten lässt. Ob nun Auseinandersetzung oder nur klare Ansage, ist dabei egal. Das tust Du alleine für Dich.
Das kapiert auch so einer.
Das klitzekleine Problem ist nämlich und das ist ausschließlich Deines: es perlt nicht an Dir ab. (Zu Recht übrigens.)