Partner.

Eigentlich wollte ich nie heiraten. Schlechtes häusliches Vorbild, Sie wissen schon. Aber dann traf ich den Mann und wollte eigentlich immer noch nicht heiraten. Bis er gefragt hat, dann habe ich mir das noch mal ganz schnell überlegt und die richtige Entscheidung getroffen. In guten, wie in schlechten Tagen, ganz profan und ohne großes Brimborium, so haben wir das gehalten und so halten wir das weiterhin.

Nun überwiegen seit einiger Zeit die schlechten Tage (ich berichtete). Und das, was für mich das Fundament einer jeden Beziehung und nicht nur Ehe bildet, schwankt. Wird unsicherer Grund, weil da etwas ist, das den einen in eine andere Haltung zwingt. Nicht nur sinnbildlich, denn der Mann sitzt im Rollstuhl und kann sich derzeit nur über kürzere Distanz mit Krücken vorwärts bewegen. Das ist in der dritten Etage ohne Aufzug eher so mittelpraktisch. Außerdem hindert es den Mann daran, selbstständig Auto zu fahren, vom Motorrad ganz zu schweigen. Alle Räder stehen still, weil der Krebs es will. Sie sehen, der Galgenhumor gewinnt dann und wann die Oberhand.

Etwas zwingt uns dazu, unsere Partnerschaft auf Augenhöhe, wie das so schön im Wirtschaftsdeutsch heißt, für das erste aufzugeben. Nicht nur, weil der Mann vorerst eine Etage tiefer vor mir auf der Straße rollt, wenn ich ihn nicht sogar schiebe. Nein, es geht auch um die Rollenverteilung. Er ist jetzt mein Schutzobjekt. Ich würde mich zwar sonst auch ohne zu Zögern vor ihn werfen, wenn es sein muss (muss aber nicht). Aber seitdem er gehandicapt ist – ob mit Krücken oder Rollstuhl – entwickele ich ein (möglicherweise übertriebenes) Beschützerbedürfnis.

Mich ärgert, wenn ein Hotel, das als barrierefrei gilt, seinen Rollstuhlaufzug nicht reparieren lässt, so dass ich den Mann in der Hofdurchfahrt „zwischenparken“ muss, um der Schwiegermutter behilflich zu sein. Das hat mich dazu gebracht, den ersten Beschwerdebrief meines Lebens zu schreiben. Und ich war noch sehr freundlich.

Mich macht wahnsinnig, dass auf einem Bahnhofknotenpunkt Berlins der Aufzug zum richtigen Gleis erst nach ewigem Suchen zu finden ist. Überhaupt: Barrierefreiheit. Mal ist sie perfekt, mal helfen andere Menschen, kleine Schwächen zu überwinden. Manchmal gibt es sie schlicht nicht. (Kleiner Exkurs: Man muss die Deutsche Bahn auch mal für ihren Mobilitätsservice für Reisende mit Handicap loben. Am Vortag abends die Hotline angerufen und am Folgetag vormittags eine Umsteigehilfe bekommen.)

Und mich bringen Menschen zur Weißglut, die Blicke werfen. Blicke, die der Mann möglicherweise nicht bemerkt, aber die mich in meiner Empfindlichkeit treffen. Ekel, Verachtung, Genervtheit – ich kann eine Menge in anderer Menschen Gesichter hineininterpretieren oder in ihnen lesen.

Ich muss mich zügeln, ihn nicht in ein Kind zu verwandeln. Ihm alles abzunehmen, ihn zu verteidigen gegen Angriffe, die es vermutlich oft gar nicht gibt. Ich möchte keine „Helicopter-Frau“ sein, eine, deren Mann Mittelpunkt ihres Daseins ist, krank oder nicht. Eine Balance finden, zwischen krank, gesund, gehend, rollend, schützend und loslassend, das ist jetzt die Aufgabe. So als Partner sollte das eigentlich gehen.

Oder?

P.S. An dieser Stelle sei das großartige Projekt http://wheelmap.org/ genannt.

 

16 Gedanken zu „Partner.

  1. Das ist vielleicht eine der schwierigsten Fragen, die es zu Liebesbeziehungen gibt.
    Wie soll etwas in Balance kommen, das gerade in einem chaotischen Zustand ist? Die Krankheit, der Krebs und all die mit ihm verbundenen Emotionen?

    Aber ich höre jetzt auch sofort auf mit den rhetorischen Fragen und wage wenigstens eine Antwort:
    Nein. Niemand muss sich zu irgendetwas zwingen. Wenn ein Beschützerinstinkt da ist, dann gibt es nur einen Grund ihn unter diesen ganz speziellen Bedingungen nicht auszuleben: Wenn der Mann das nicht möchte.
    Sich in dieser Situation so hohe Ansprüche zu stellen erscheint mir fast unmenschlich.

    Ist doch alles schlimm genug, da ist es wichtig, sich nicht zu verbiegen.
    Schon gar nicht wegen irgendeiner Balance, die es nicht mal theoretisch gibt. Praktisch schon gar nicht.

  2. Ja, das geht.
    Dafür müssen aber vielleicht erst ein paar alte Rollen neu definiert werden.
    Vielleicht fehlt auch ein wenig Routine und vielleicht ist das alles ja gerade auch ein bissl viel und das Helikopterdingens einfach eine Reaktion darauf.

    Ich bin ir sicher das sie das schaffen mit der Zeit. Aber ich glaube auch das es seine Zeit braucht da hin zu kommen.

    Rom ist auch nicht an einem Tag und so….

  3. Vielleicht muß man das anders sehen. Das sind nicht die schlechten Zeiten. Das sind einfach andere Zeiten. Ich persönlich finde aus meinen eigenen Erfahrungen mit plötzlichen schweren Erkrankungen heraus diese aufgezwungenen Veränderungen der Selbst- und Fremddefinition recht schwierig. Ein Prozess, den ich für mich selbst auch noch nicht abgeschlossen habe.

    Und Sie betrifft das ja beide, also die Unsicherheit, welche Rolle man (noch) spielen kann und will, ob die Augenhöhe noch gegeben ist, ob „die Balance stimmt“. Akute Notsituationen und konkrete Hilflosigkeit mal ausgenommen – niemand will einen Pfleger/eine Pflegerin. Dafür gibt es meiner Meinung nach Ärzte und Profis. Partner/in unter veränderten Vorzeichen, das ist schon wichtig.

    Entschuldigen Sie die gewisse Wolkigkeit meiner Formulierungen. Ich werfe das einfach mal so rein. Weiter alles Gute!

    • Danke! Alles ist Wandel, das muss man sich immer wieder vor Augen halten. Und Sie können vermutlich den Wandel im Leben des Mannes aus eigener Erfahrung noch viel mehr nachvollziehen können als ich.

  4. Aber das ist doch völlig normal, dass es nicht einfach ist, den richtigen Weg zu finden. Vor allem, wenn wir das erste Mal in so einer Situation sind. Solche tiefgreifenden und plötzlichen Lebensveränderungen passieren doch nicht jeden Tag.
    Ein Kind ist in den ersten Tagen wirklich völlig hilflos, Eltern gehen den Weg des Alterns. Aber wenn es den Partner von heute auf morgen von den Füßen haut, wenn eine Krankheit so unberechenbar in den Auswirkungen ist, dann ist es das Letzte, alles richtig machen zu können.
    Sie reflektieren es, das ist sehr gut. Es gibt doch die Möglichkeit, zu korrigieren. Das Helikoptern wie auch das (sehr wichtige) an sich selbst-Denken, das kann auch neu entschieden werden. Vor allem können beide korrigieren. Sie haben einen _Partner_.
    Aus meiner Erfahrung ist es gut, die Anwandlungen von Fürsorglichkeit oder Distanz geschehen zu lassen, in dem Vertrauen, dass Ihre Beziehung eine tiefe feste Basis hat. Ich habe das oft verpasst. Dieses Nähe-Distanz-Ding kann ich sehr schwer dosieren. Ich habe dann versucht, das nicht mehr steuern zu wollen und es entspannte sich.
    Außerdem meine ich, auch in solchen Zeiten darf es Konflikte und Krach geben. Unser Bild von Partnern in schicksalhaften Krankheiten ist sentimental vernebelt. Flüche und blöde Witze sind erlaubt.

  5. Meinen Mann hat es vor einem Jahr auch erwischt. Und bis jetzt haben wir das auch noch nicht richtig, nicht immer hinbekommen mit der Balance. Es gibt immer wieder eskalierende Situationen, gefühlt bedrohliche + wirklich bedrohliche, in denen ich mit Helicoptern versuche, meiner eigenen Panik Herr zu werden. Führt auch zu Konflikten. Aber bitte Gnade, ich bin froh, wenn wir es überhaupt i r g e n d w i e hinbekommen. Man erzählte mir übrigens, dass es sehr häufig vorkäme, dass die Erkrankten recht gelassen + die Partner mit heftiger Fürsorge reagieren. Danke, kittykoma. Lieber kid37: „Dafür gibt es meiner Meinung nach Ärzte und Profis.“ Das stimmt meiner Erfahrung nach nur zum Teil, vieles bleibt trotzdem an den Angehörigen hängen.

    • Ich wünsche Ihnen alles Gute und Glück der Welt für die Zukunft. Es „irgendwie“ hinzubekommen, ist wohl tatsächlich das Gebot der Stunde. Dinge geschehen zu lassen, Unvollkommenheiten zuzulassen. Das entspricht zwar nicht meiner Persönlichkeit (ich befürchte, ich bin ein anstrengender Mensch), aber ich begreife es langsam auch als Chance, sich selbst zu überprüfen und das Logbuch anders zu schreiben.

  6. Ich glaube die Frage mit der Augenhöhe ist eine sehr wichtige. Dass man einander nach wie vor auf Augenhöhe begegnet. – Und dazu gehört, dass man auch selbst mal klein sein darf, nicht immer groß sein muss für den anderen. Und sich nicht selbst aufgeben.

    Zuerst die Überfürsorge, dann die Selbstaufgabe und die Weigerung Hilfe anzunehmen ist ein Prozess, den ich bei meiner Mutter über die vielen Jahre der Pflege beobachtet habe. – Bitte Hilfe annehmen, wenn sich eine bietet.

    • @Helga: Ach, ich glaube nicht, dass „unsere Generation“ noch so gefährdet ist, „sich selbst aufzugeben“ und keine Hilfe annehmen zu wollen/können. Eher entsteht für „uns“ in solchen Situationen vielleicht ganz neuer Stress, weil uns ungleichgewichtige Beziehungen + traditionelle Frauenrollen zuwider sind. Aber im Moment pfeif ich drauf, es muss gelebt werden, so gut es eben geht. @wortschnittchen: Ich wünsche Ihnen und Ihrem Mann auch alles Gute! Für mich klingt das so, als ob Sie das richtig gut machen. Und mit den „Unvollkommenheiten“, das geht mir ganz genauso, bin aber zur Zeit tatsächlich ungewöhnlich gnädig mit mir, alles Gute nochmal!

  7. Die Situation nicht kontrollieren zu können, das ist zwar schwer zu akzeptieren, aber dem nachzugeben und Hilfe anzunehmen, das hilft meiner Erfahrung nach am besten. Ich wünsche Euch alles Gute!

  8. Es ist wie es ist. Das gilt für die Liebe, und auch für das Schicksal.
    Es gibt nie ein richtig oder falsch, es ist immer ein Versuch.
    Einfach weiterleben, so gut wie es geht, irgendwie.
    Und manchmal den Glanz der Vergangenheit heraufbeschwören.
    Die hellen Tage sind da um in den dunklen Licht zu sein.

    Ich war die, die lag. Und es nur geschafft hat durch die Hand, die sich reichte, der Arm, der stützte, das Dasein, auch wenn es schwer war.
    Dass das Hadern beim Stärkeren liegt, habe ich auch erfahren. Der Schwächere will nur die nächste Stunde, den nächsten Tag. Ist unendlich dankbar, und weiß nicht, wie zeigen. Augenhöhe, ja, die gibt es lange nicht. Aber dann wieder, nur anders.

  9. meinen mann hat es mit einer anderen krankheit erwischt – einer depression. ich habe helikoptert, organisiert und zwei kleine kinder und mich durch die zeit gebracht und ihn irgendwie ja auch.

    wir haben es nicht geschafft. vor kurzem haben wir uns getrennt.

    ich wünsche euch alles gute und denke du hast eine ganz wichtige grundvoraussetzung, dass es gut wird: du erkennst die thematik. ich habs zu spät erkannt.

    (darüberhinaus denke ich persönlich, dass schwere erkrankung immer teile eines system verstärken, die vorher schon da waren.)

    • Das ist natürlich sehr traurig (auch und vor allem für die Kinder), aber letztlich haben Sie Recht: Stimmt das System nicht und hat Risse, werden daraus leicht in Extremsituationen Spalte bis zur Explosion. Ich bin mir sicher, dass unser Fundament solide gegossen ist und auch Erdbeben überstehen würde. Gelegentliche Selbstreflexion vorausgesetzt. Ihnen vielen Dank und alles Gute, auf jeden Fall!

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