Glätteisen.

Das erste Mal habe ich an Botox gedacht, nachdem mir ein Surfbrett auf den Kopf gefallen war. (In einer Dachwohnung eines Talkshow-Moderators. Ganz ohne Wasser. Mit Gehirnerschütterung. Fragen Sie nicht.)

Denn unangenehme (eine Woche lang eine fette Beule auf der Stirn) und angenehme (die beiden dicken Stirnfalten waren erst unsichtbar und dann längere Zeit gemildert) Folgen hielten sich in meiner Wahrnehmung die Waage. Das Surfbrett-Erlebnis spielte sich in meinen frühen Dreißigern ab und seitdem hat die Zeit, haben die Lebenserfahrungen in meinem Gesicht und an meinem Körper durchaus ihre Spuren hinterlassen.

Mit meinen Fältchen und Falten, mit den kleinen und großen Polstern kann ich ziemlich gut leben, daran leide ich jedenfalls nicht. Aber diese beiden horizontalen Stirnfalten, die wurden mit der Zeit immer ein bisschen tiefer. Denkerstirn trifft es nicht ganz, eher afrikanischer Grabenbruch, und das gefiel mir nicht mehr. Darum habe ich mich im befreundeten Ärztekreis kundig gemacht und ließ mich nach eingehender Beratung durch die Medizinerin und Prüfung meines Kontostandes botoxen.

Vier kleine Minimaldosen wurden in den oberen Bereich meiner Stirn gespritzt. „Dann haben Sie auch weiterhin Mimik und Ihre Augenbrauen fangen nicht an zu hängen“, erklärte die Ärztin, denn ich wollte nur eine kleine Faltenminderung und nicht aussehen wie Renée Zellweger. Es piekste ein winziges bisschen, war aber sehr erträglich. „Wundern Sie sich nicht, der erste Effekt zeigt sich in drei Tagen“, gab mir die Ärztin zusätzlich zum Kühlkissen mit auf den Weg. „Und rechnen Sie mit Kopfschmerzen!“

Also wartete ich. Die Kopfschmerzen kamen verlässlich, gingen aber am Tag 2 vorbei. Tag 3 kam und nichts passierte. Meine Runzelstirn war weiterhin beweglich wie die von Stan Laurel, die Falten deutlich und präsent. Ein wunderschöner Herbstnachmittag, wir fuhren über Land, und die Sonne schien in einem letzten Aufbäumen warm vom Himmel. Hinterher hatte ich einen leichten Sonnenbrand, so fühlte es sich jedenfalls an. Bewegen ließ sich der Musculus frontalis immer noch. Ich ging zu Bett. Um am Tag 4 mit einer Betonstirn zu erwachen. Das Augenbrauenheben ging, war aber deutlich mühsamer als sonst. Ein unsichtbares Band lag um meine Stirne.

Am Tag 5 war irgendwas mit meinem Lachen passiert. Ich lachte, aber mit angezogener Handbremse, so jedenfalls mein Empfinden. Nun habe ich derzeit nicht so viel zu lachen, aber irgendwas ist ja immer und dann lache ich sehr breit und laut und mit allen Muskeln. Es schien aber niemandem aufzufallen, was mir deutlich mehr Sorgen machen sollte. An Tag 6 sprach mich dann doch Kollegin I an, die ihre – wenig erfolgreiche – Botox-Erfahrung bereits gemacht hatte. Ich sähe entspannter aus, ob sich denn daheim wieder alles ein wenig zum Besseren wenden würde?

Nun haben wir Tag 7 und ich beginne, mich an meine fast glatte Stirn zu gewöhnen. Das Lachen geht wieder, wie mit dem Glätteisen gezogen sehe ich zum Glück nicht aus. Ich bin gespannt, wie das Experiment weitergeht und ob ich es dabei belasse.

Im Zweifelsfall: Kann mir einer von Ihnen ein Surfbrett leihen?

Brüste.

Eins vorweg: ich finde Brüste toll. Jeder sollte Brüste haben. Ich bin überzeugt davon, dass die Welt eine andere wäre, hätten Männer Brüste.

Nicht nur, dass Anzüge etwas anders geschnitten wären. Nein, Anzugträger wären dann möglicherweise eher damit beschäftigt, ihre Brüste in Hemd und Nadelstreifen zu behalten, denn auf jene ihrer Kolleginnen zu starren. Es wäre eine Welt, in der es keinen Unterschied machen würde, ob oder ob nicht. Männer könnten ebenfalls Stillpausen einlegen und sich allgemein gleichberechtigter und ohne Ausreden um ihren Nachwuchs kümmern. Allerdings würde es vermutlich doch kompliziert, denn statt Schwanzvergleich (unter Männern) gäbe es dann den Brustvergleich (unter Männern und Frauen). Nun, auf einen Versuch könnte man es in der nächsten Evolutionsstufe ja ankommen lassen.

Aber wie sieht das Leben einer weiblichen Brust eigentlich aus Sicht der Betroffenen aus? Ich habe die meinen mal befragt und hier sind die Antworten:

Wann war euch eigentlich bewusst, dass Ihr etwas besonderes seid?
Das muss so um 1984 gewesen sein. Wir waren gerade auf dem Weg, erwachsen zu werden, wurden langsam groß und unsere Trägerin entdeckte in den Ferien an der französischen Atlantikküste, dass wir braungebrannt besser aussehen als weiß versteckt unter dem Bikinioberteil. Das hat dann dazu geführt, dass sich zwei kleine Franzosen beinahe um den besten Blick auf uns geprügelt haben.

Und später? Wie ging das weiter?
Naja, wir waren dann nicht mehr wegzudenken aus der Welt. Unsere Trägerin hat sich an uns gewöhnt. Und wir uns an sie. Sie ist ja schon ein bisschen anstrengend, hatte immer ziemliche Komplexe und war unsicher, wie sie mit sich und uns umgehen soll. Wir haben uns dann aber auf eine Art Waffenstillstand geeinigt. Wir stören sie nicht, sie verpackt uns gut. Das war uns wichtig, denn wir hatten Probleme mit Leichtathletikwettbewerben und Volleyballturnieren. Es reicht ja, wenn einer einen Durchhänger hat. (lachen) Entschuldigung, manchmal geht es mit uns durch!

Autos, Häuser, Brüste, Schwänze – es geht ja eigentlich immer um Größe. Wie kommt Ihr eigentlich mit Eurer zurecht?
Wir waren ja nie besonders groß, eher Kompaktklasse, also B-Körbchen. Gut ausgesehen haben wir schon, für natürliche Brüste. Alles im Durchschnitt, würden wir sagen. Heute ist das schwieriger. Da wird dann eine Brust danach beurteilt, „wie sie steht“. Das galt früher für Männerextremitäten, stellen Sie sich das vor!

Später, als unsere Trägerin Mitte 30 war, sind wir dann so richtig groß rausgekommen. Da gab es Hormonbehandlungen, Cortison, und da haben wir um eineinhalb Körbchengrößen zugelegt. Heute schwanken wir zwischen einem C- und D-Cup, je nach Zyklus und Gewicht. Wir haben uns unserer Trägerin angepasst und sind einfach ein bisschen schwerer geworden. Wir sind natürlich nicht mehr so straff wie früher, aber damit kommt unsere Trägerin klar.IMG_0582 - Kopie

Habt Ihr irgendwelche Tipps oder wollt Ihr noch etwas sagen?
Tastet regelmäßig uns regelmäßig auf Veränderungen ab. Vergesst Bürstenmassagen, das ziept und bringt dem Bindegewebe nicht viel. Tragt ordentliche BHs mit soliden Riemen und gebt ein bisschen mehr Geld dafür aus. Und gebt uns um Himmels Willen keine saublöden Kosenamen wie „Hans und Franz“ oder „Titties“!

Vielen Dank für das Interview.

In der letzten Antwort haben meine Brüste übrigens etwas angesprochen, was ich aktuell sehr spannend finde. Letzte Woche war ich bei meiner neuen Gynäkologin. Krebsvorsorge, Ultraschall, Zystenkontrolle. Und Abtasten der Brust. Meine bisherigen FrauenärztInnen haben das flott und unspektakulär durchgeführt, Dauer der Gesamtaktion: gefühlte zwei Minuten. Diese Ärztin stand vor mir, schloss die Augen und tastete millimetergenau ab. Teilweise mehrfach, im Vergleich zur anderen Brust. Jede Brust bekam ihre fünf Minuten Ruhm. Dann schrieb sie mir eine Überweisung für die Radiologie. Mammographie, zur Sicherheit.

Das bringt mich auf etwas, weshalb es vielleicht doch nicht so günstig wäre, hätten Männer Brüste. Stellen Sie sich vor, ein Mann müsste „zur Sicherheit“ zur Mammographie. Geht nicht. Geht gar nicht. Er würde sterben vor Angst. Der Fortbestand der Menschheit wäre in Gefahr.

Partner.

Eigentlich wollte ich nie heiraten. Schlechtes häusliches Vorbild, Sie wissen schon. Aber dann traf ich den Mann und wollte eigentlich immer noch nicht heiraten. Bis er gefragt hat, dann habe ich mir das noch mal ganz schnell überlegt und die richtige Entscheidung getroffen. In guten, wie in schlechten Tagen, ganz profan und ohne großes Brimborium, so haben wir das gehalten und so halten wir das weiterhin.

Nun überwiegen seit einiger Zeit die schlechten Tage (ich berichtete). Und das, was für mich das Fundament einer jeden Beziehung und nicht nur Ehe bildet, schwankt. Wird unsicherer Grund, weil da etwas ist, das den einen in eine andere Haltung zwingt. Nicht nur sinnbildlich, denn der Mann sitzt im Rollstuhl und kann sich derzeit nur über kürzere Distanz mit Krücken vorwärts bewegen. Das ist in der dritten Etage ohne Aufzug eher so mittelpraktisch. Außerdem hindert es den Mann daran, selbstständig Auto zu fahren, vom Motorrad ganz zu schweigen. Alle Räder stehen still, weil der Krebs es will. Sie sehen, der Galgenhumor gewinnt dann und wann die Oberhand.

Etwas zwingt uns dazu, unsere Partnerschaft auf Augenhöhe, wie das so schön im Wirtschaftsdeutsch heißt, für das erste aufzugeben. Nicht nur, weil der Mann vorerst eine Etage tiefer vor mir auf der Straße rollt, wenn ich ihn nicht sogar schiebe. Nein, es geht auch um die Rollenverteilung. Er ist jetzt mein Schutzobjekt. Ich würde mich zwar sonst auch ohne zu Zögern vor ihn werfen, wenn es sein muss (muss aber nicht). Aber seitdem er gehandicapt ist – ob mit Krücken oder Rollstuhl – entwickele ich ein (möglicherweise übertriebenes) Beschützerbedürfnis.

Mich ärgert, wenn ein Hotel, das als barrierefrei gilt, seinen Rollstuhlaufzug nicht reparieren lässt, so dass ich den Mann in der Hofdurchfahrt „zwischenparken“ muss, um der Schwiegermutter behilflich zu sein. Das hat mich dazu gebracht, den ersten Beschwerdebrief meines Lebens zu schreiben. Und ich war noch sehr freundlich.

Mich macht wahnsinnig, dass auf einem Bahnhofknotenpunkt Berlins der Aufzug zum richtigen Gleis erst nach ewigem Suchen zu finden ist. Überhaupt: Barrierefreiheit. Mal ist sie perfekt, mal helfen andere Menschen, kleine Schwächen zu überwinden. Manchmal gibt es sie schlicht nicht. (Kleiner Exkurs: Man muss die Deutsche Bahn auch mal für ihren Mobilitätsservice für Reisende mit Handicap loben. Am Vortag abends die Hotline angerufen und am Folgetag vormittags eine Umsteigehilfe bekommen.)

Und mich bringen Menschen zur Weißglut, die Blicke werfen. Blicke, die der Mann möglicherweise nicht bemerkt, aber die mich in meiner Empfindlichkeit treffen. Ekel, Verachtung, Genervtheit – ich kann eine Menge in anderer Menschen Gesichter hineininterpretieren oder in ihnen lesen.

Ich muss mich zügeln, ihn nicht in ein Kind zu verwandeln. Ihm alles abzunehmen, ihn zu verteidigen gegen Angriffe, die es vermutlich oft gar nicht gibt. Ich möchte keine „Helicopter-Frau“ sein, eine, deren Mann Mittelpunkt ihres Daseins ist, krank oder nicht. Eine Balance finden, zwischen krank, gesund, gehend, rollend, schützend und loslassend, das ist jetzt die Aufgabe. So als Partner sollte das eigentlich gehen.

Oder?

P.S. An dieser Stelle sei das großartige Projekt http://wheelmap.org/ genannt.

 

Sonnencreme.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Absolventen des Jahres 1999
Benutzen Sie Sonnencreme,  

Ich stand neulich bei heißen 30° Celsius im Stau und im Radio lief ein lange nicht gehörtes Lied: „Sonnencreme“, die Vertonung einer Zeitungskolumne durch den Regisseur Baz Luhrmann. Ich sah in die anderen Fahrzeuge und die genervten Blicke der Fahrer, las ihre Gedanken. Nur fünf Minuten schneller! Kann der Typ im Audi vor mir nicht aufschließen? Wieso hat mich der Chef nicht dem Oberchef vorgestellt? Jetzt eine rauchen. Nur fünf Minuten schneller, ohne Stau, wären sie!

Die wahren Probleme in ihrem Leben sind meist Dinge an die Sie in ihren sorgenvollen Stunden nie denken würden.

Dinge die zum Beispiel an einem unbeschwerten Dienstagnachmittag um vier aus heiterem Himmel auf Sie niederprasseln.

Bei uns war es kein Dienstagnachmittag um vier. Ich kann mich nicht einmal an das genaue Datum erinnern, aber es war ein Spätherbst vor einigen Jahren und die Diagnose lautete Krebs. Der Mann war krank. Krebs und Krankheit als Synonym beinhaltet ja immer die Chance zur Heilung. Daran hielten wir uns, zumal der Krebs „der gutartige unter den bösartigen“ Arten war. Aber es änderte alles.

Vielleicht heiraten Sie,
vielleicht auch nicht,
vielleicht haben Sie Kinder,
vielleicht auch nicht,
vielleicht lassen Sie sich mit 40 scheiden,
vielleicht feiern Sie auch ihren 75sten Hochzeitstag mit einem Ententanz. 

Wir heirateten nach überstandener Behandlung, um unseren 75sten Hochzeitstag ganz sicher nicht mit einem Ententanz zu feiern. Wir sind beide eher Nichttänzer. Aber wir würden keine Kinder haben. Auch keine Adoptivkinder, denn lebensbedrohliche Krankheiten wie Krebs gelten erst nach fünfjähriger Karenzzeit als geheilt. Das hört sich ungerecht an, dient aber dem Kindeswohl. Und nach zwei Jahren war der Krebs ohnehin wieder da. Und nach weiteren acht Monaten wieder, diesmal schlimmer, akute Lebensbedrohung durch Komplikationen. Wieder eine lange, eine noch längere, noch einschneidendere Behandlung, wieder warten, Bestrahlung, warten, OP. Jetzt, seit einigen Tagen, erneut die Diagnose. Wieder alle Planungen in den Wind schießen. So ist das mit Krankheiten: sie lassen sich kaum in ein „normales“ Leben integrieren, man kann nicht mehr planen, Urlaube, Auszeiten, Kinder – alles wird temporär unplanbar oder sogar unmöglich. Aber was will man machen? Ich halte mich in solchen Zeiten an meinem Mantra „Isso. Aufstehen, weitermachen.“ fest. Was diese Zeit den Mann an Kraft gekostet haben mag, kann ich mir kaum vorstellen. Aber sie kostet auch den Gesunden neben dem Kranken viel, viel Kraft. Wie bei duldenden (leidenden) Partnern von Alkoholikern wird man zum Co-Kranken.

Haben Sie Freude an ihrem Körper,
nutzen Sie ihn soviel wie möglich.
Haben Sie keine Angst vor ihm oder davor,
was Andere über ihn denken,
er ist das beste Instrument, das Sie haben.

Wir müssen uns darüber klar sein, dass wir auf unserem Instrument spielen, mit ihm spielen, wenn wir es nicht pflegen. Ich möchte nicht in esoterische Welten eintauchen, aber: Körper und Geist sind für mich eine Einheit, das eine erhebt sich nicht über das andere, mens sana in corpore sano, eben. Manchmal muss ich mich zwingen, meine Übergewichtskilos anzugehen, mich morgens aus dem Bett zu quälen, um meinen Körper ein bisschen zu spielen. Aber genauso muss ich darauf achten, dass meine Seele an eigenen Krankheiten oder denen anderer keinen Schaden nimmt. Ich kann mir helfen lassen. Ich kann mir Auszeiten nehmen. Ich bin nicht Mutter Teresa. Ich bin ein Mensch.

Machen Sie sich klar,
dass Freunde kommen und gehen,
aber pflegen Sie einige wertvolle Freundschaften, tun Sie alles um sich räumlich und menschlich nahe zu bleiben,
denn je älter Sie werden, desto mehr sind Sie auf Menschen angewiesen, die Sie schon als Kind kannten.

Der Mann und ich haben großes Glück mit unseren Freunden. Sie nehmen uns viel ab, viel auf und sind da, wenn es richtig, richtig Scheiße ist. Er kennt seine, ich die meinen, Freunde aus den Frühzeiten des Studiums, das ist heutzutage ja fast so viel wert wie Sandkastenfreundschaften. Unsere Freunde sind übrigens toll. Ihre, liebe Leser, bestimmt auch. Könnten Sie ihnen ja mal wieder sagen.

Abschließend ist es wie mit dem Luhrmannschen Text: Viele zusammenhanglose Teile ergeben ein Ganzes, ein Leben. Und das geht weiter. Zu zweit.

Aber das mit der Sonnencreme,
können Sie mir glauben.

 Wo er Recht hat, hat er Recht, der gute Baz. Ich fuhr an den ganzen unzufriedenen Staustehern vorbei nach Hause und war zufrieden.