Über den Wolken.

Oft, wenn ich in den vergangenen dreieinhalb Jahren geflogen bin, ging es bei Start oder Landung kurz durch eine Wolkendecke. Ich liebe es, wenn diese Wattebäusche aus Wassermolekülen am Himmel stehen und stelle mir gern vor, dass der Mann da drauf sitzt. Ich grüße dann kurz in Gedanken eine der Wolken, die mir besonders hübsch erscheint.

Letzten Donnerstag flog ich wieder einmal und ich hatte den Mann in Frankfurt auf einer Wolke gegrüßt, eher virtuell, weil es bereits dunkel war. Der Flug verlief ereignislos, ich schlief sogar einige Stunden, nachdem ich den wirklich außergewöhnlichen Film „Joker“ mit Joaquin Phoenix gesehen hatte. Wir waren noch über dem Atlantik, als über das Bordmikro die Bitte nach einem Arzt ausgesprochen wurde, es gäbe einen medizinischen Notfall. Ein junger Mann und eine Frau meldeten sich und eilten, begleitet vom Chefpurser, nach hinten. Die meisten Passagiere bekamen nicht viel davon mit, weil sie schliefen. Es war Viertel vor fünf morgens, als die Wiederbelebungsmaßnahmen begannen. Der alte Herr wurde von seinem Sitz gehoben und nach hinten in eine der letzten – nicht besetzten – Reihen gebracht. Nicht lange danach kam eine erneute Durchsage, das Licht ging an. Man würde wegen eines medizinischen Notfalls in Fortaleza (Brasilien) zwischenlanden müssen.

Gleich nach der Ankunft auf dem mit einer nicht allzu langen Landebahn ausgestatteten Flughafen – wir bremsten sehr heftig – versehenen Flughafen, eilte ein Ärzteteam nach hinten. Kurz danach betraten zwei offiziell aussehende Herren das Flugzeug, Klemmbretter, Dokumentenmappen und eine Tasche unter dem Arm. Der Chefpurser seinerseits kam ebenfalls wieder nach hinten und hielt ein Protokolldokument in der Hand. Spätestens da wurde mir klar, dass wir einen Toten an Bord hatten. Nachdem  die Offiziellen sowie das Ärzteteam das Flugzeug rund eineinhalb Stunden später wieder verlassen hatten, gingen der Chefpurser sowie die Ärztin, die erste Hilfe geleistet hatte, zu einer alten Dame, die in der gleichen Reihe saß wie ich. Sie fing laut an zu weinen. Die Passagiere saßen schweigend auf ihren Sitzen.

Die Durchsage kam kurz danach: Man würde jetzt wieder starten, leider habe man eine traurige Information zum medizinischen Notfall und müsse nun weiterfliegen nach Sao Paulo, da die Crew durch den langen Zwischenstopp von mehr als 2,5 Stunden ihre Arbeitszeit bei einem Direktflug nach Santiago in nicht zulässigem Maß überschreiten würde. In Sao Paulo würden die Crew gewechselt und wir Passagiere weitergeleitet nach Santiago. Ich dachte an den alten Herrn. Wo war er? Wie war die Crew mit seinem Leichnam umgegangen? Und hatte sie Passagiere umgesetzt? Wie ist eigentlich das Prozedere in solchen Fällen?

Diese Fragen bewegten auch andere Passagiere, die beim Verlassen des Flugzeugs einen der Flugbegleiter dazu befragten. Seine Antwort: Es gibt ein international gültiges Reglement, das mehr oder weniger besagt, dass kein Fluggast im Flugzeug versterben kann, sondern immer am Landeort von offizieller Seite der Tod bestätigt werden muss. Die Crew oder Ärzte an Bord seinen mehr oder weniger verpflichtet, so lange Wiederbelebungsmaßnahmen durchzuführen, bis man am Boden sei. Da das absurd ist, gibt es die Todesbestätigung dann erst am Boden, obwohl der Tod schon über den Wolken eingetreten ist.

Ich las nach, dass einige Airlines Leichensäcke mit sich führen, es gibt sogar Flugzeugmodelle mit einem Schubfach im Passagierbereich, in das ein Leichnam gebracht werden kann. Aus Sicherheitsgründen darf der tote Passagier nicht in einer Toilette oder im Servicebereich liegen. In vollbesetzten Flugzeugen lassen die Airlines den Toten auf dem Sitz, bedecken ihn aber mit einer Decke. Oder sie bringen ihn in die erste Klasse, wo sie ihn ebenfalls mit einer Decke verhüllen. Der alte Herr hatte immerhin eine ganze Reihe für sich.

Mein Gruß in die Wolken, ein letzter, ging bei der Landung in Santiago nach bald 30 Stunden Reise an den alten Herrn in der Economy, fünf Reihen hinter mir. Ich hoffe, ihm geht es gut auf seiner Wolke.

 

 

Schlüssel.

„Hier hast du den Schlüssel“, sagt der Verehrer und drückt mir einen Schlüsselbund in die Hand. Ich hätte jetzt also die Gewalt über seine Wohnung, seine Schrankinhalte. Die Schlüsselgewalt. Wer hätte das gedacht. Sowas kommt von sowas. Das ist in Telenovelas immer so.

Von sowas war an jenem Karfreitagabend 2017 auf der Dachterrasse des Hostels in Valparaiso noch nichts zu ahnen. Ich war  der Großstadtüberforderung in Richtung Meer entflohen. Dort angekommen, machte ich das übliche Sightseeing, speiste vorzügliches Thunfischsteak und kaufte mir zwei Bier im Späti. Danach beschloss ich, diese seltsame Ansammlung von feiernden Menschen im Hostel genauer in Anschein zu nehmen. Drei frisch examinierte  Traveller aus Deutschland, drei nicht mehr ganz frisch examinierte Chilenen, eine Truppe älterer Franzosen und ich verstanden uns bei Asado (Massen von Grillfleisch), Rotwein, Bier und einigen großzügig geteilten Joints relativ schnell relativ gut. Besonders mit den Franzosen schwatzte ich munter drauflos, denn nach zwei Wochen Chile und Sprachkurs verstand ich vom hiesigen Idiom immer nur noch knapp die Hälfte.

Was dann irgendwann auch egal war, denn: wir sangen. Völlig egal, was, Bob Marley zur Klampfe geht ja immer, und insbesondere der sehr hochgewachsene Barthipster da sang überaus gut. Bisweilen kreuzten sich unsere Blicke, wir lächelten uns kurz an. Aber wie das so ist, wenn man gerade mal knapp ein Dreivierteljahr verwitwet, Mitte Vierzig und lang dem Flirten abhold war (wenn nicht schon immer, mir fehlt da offenbar ein entsprechendes Flirtgen), die fremde Sprache nicht mal ansatzweise beherrscht und überhaupt: ich legte es unter „so sind sie halt, die Latinos“ ab.

Am nächsten Morgen war von den Truppen nichts zu sehen, denn ich hatte mich gegen drei Uhr sehr, sehr müde verabschiedet und die Party ging sicherlich noch bis zum Morgengrauen weiter. Erst am Ostersonntag zum Frühstück bekam ich ihn wieder zu sehen. Er saß alleine am Tisch und wie das so ist, als gelernte Deutsche setzt man sich nicht einfach dazu, sondern parkt sich an einen Nachbartisch. Gesellschaft leistete mir dann aber schnell die Hostelchefin, die mich schon am Vortag quasi adoptiert hatte. Wir schwatzten ein bisschen radebrechend über unsere Witwenschaft, das Leben im Allgemeinen und Besonderen, während am Nebentisch die Ohren sichtbar wuchsen. Nach dem Frühstück fragte er mich, ob ich Lust hätte, zurück in Santiago mal etwas Essen zu gehen.

Wir gingen Essen. Wir gingen Trinken. Wir tanzten. Wir entdeckten ziemlich viele Gemeinsamkeiten. Ich begann, ihn meinen „Verehrer“ zu nenne. Ich war seine „Schöne“. Nach meiner Abreise aus Chile verabredeten wir uns im Juli in Montreal, wo wir weitertanzten, sangen und frühstückten. Davor und danach schickten wir uns jeden Tag unzählige Nachrichten, telefonierten und hielten uns auf dem Laufenden, wie es uns denn so ginge. Wir gingen auch mit anderen aus, aber wir blieben immer der Verehrer und die Schöne. Dann organisierten wir transkontinental einen gemeinsamen Urlaub. Nach sieben Monaten des Nichtsehens von 0 auf 100 war dieser für uns eine Belastungsprobe, aber überwindbar. Er nannte mich seine „sture Deutsche“. Ich nannte ihn „Verrückter“. Meine Entscheidung, mich in Chile zu versuchen, wollte ich dennoch nicht von einem Mann abhängig machen. Deshalb ging ich auf Distanz, zu seinem Unverständnis.

Noch mehr – verständliches – Unverständnis erntete ich nach meiner Immigration, als ich erst einmal mit einer Freundin zu deren Familie reiste, ohne mich sofort mit ihm zu treffen. Eine beleidigte Woche später sahen wir uns wieder, wir aßen zusammen, tranken zusammen, gingen tanzen, mit Freunden essen, auf Konzerte, ins Kino und hielten Händchen in jeder Hinsicht. Er nennt mich seinen „kleinen, sturen Albtraum“, ich nenne ihn weiterhin den Verrückten. Nun habe ich den Schlüsselbund des Verrückten und schließe die Türe auf.

Sie wollten es ja wissen, wie die Telenovela begann. Das haben sie jetzt davon.

 

[Was schön war] #kw08/18.

Was in der vergangenen Kalenderwoche schön war, wieder aus der großen Stadt, die ich gerade nicht so recht Heimat nennen mag, die es aber nun schon seit 28 Jahren ist.

#

Verwaltungskram, der einen zwingt, morgens um kurz vor acht auf einem Behördenflur zu warten. Das ist nicht schön, aber die Schlange war kurz, die Sachbearbeiterin fix und keine fünf Tage später hatte ich ein wichtiges Dokument in der Hand.

#

Noch mehr Verwaltungskram, Übersetzungszeug und viel Hausaufgaben zu machen. Was im vergangenen Jahr schon voran ging – das Ausmisten -, muss jetzt schneller gehen als zuvor. Wie man aus 10 Aktenordnern Leben die Hälfte macht, kann ich mittlerweile.

#

Viel Nachdenken über das, was das eigene Verhalten widerspiegelt. Ob da nicht allzu oft Widersprüche in Haltung und Aussage sind, die es schwierig machen mit der Kommunikation und den Gefühlen.

#

Mit der besten Freundin shoppen gewesen und fast nur Nützliches erstanden. Alles, was jetzt gekauft wird, ersetzt entweder fadenscheinig Gewordenes oder muss mehrere Funktionen erfüllen. Ich werde es mir nicht leisten können, in meine vier Koffer mehr als wenige sinnlose, aber schöne Teilchen zu packen.

#

„Komm zurück“, sagt der Verehrer und meint damit nicht nur meine physische Anwesenheit.

[Was schön war] #kw07/18.

Was in der letzten Woche schön war? Fragen Sie mein Herz, vielleicht kann es antworten.

#

Das unbestimmte Gefühl, dass etwas nicht richtig ist, nicht so ist, wie es sein soll. Die Frage, ob es nur meine für mich typische Bindungsangst ist oder das Bewusstsein dafür, dass etwas nicht passt. Eine Lektion der vergangenen Jahre war: abwarten. Geschehen lassen. Nichts über das Knie brechen. Auch, wenn etwas nicht passt, muss ich nicht immer den harten Schnitt machen. Kein schönes Gefühl, kein schöner Zustand. Aber aushaltbar. Und wieder eine Lektion, die mich zu einem anderen Menschen macht.

#

Das letzte Interview geführt, mit einer sehr interessanten Frau und einer Mission. Ich fühle mich so gesegnet, dass ich Menschen kennen lernen darf, die etwas zu erzählen haben, etwas bewegen, um diese Welt zu einer bessern zu machen.

#

Den Valentinstag mit dem Verehrer verbracht, aber den Abend gemeinsam mit den Freunden meinen letzten Tag in Chile (vorerst) gefeiert. Dabei wieder dieses Gefühl gehabt, dass etwas nicht richtig ist. Der Freund des Verehrers brachte es nach dessen Nach-Erzählung eines gemeinsamen Ausflugs auf den Punkt: „Lass sie für sich sprechen.“ Ich bin ich. Ich bin nicht sein Interpretationsmodell. Entweder er lernt das oder er ist raus.

#

Am Abschiedstag sehr glücklich darüber, unter allen Umständen Haltung bewahren zu können. Niemals das Gesicht zu verlieren, wenn einer mich nicht so will, wie ich bin. Ich reite keine toten Pferde weiter. Nur sagen müsste ich es ihm dann doch irgendwann.

#

In Buenos Aires Vertrautes wiederfinden, schon wieder neue berufliche Verbindungen und Perspektiven, die sich auftun. Ich bin ein anderer Mensch dort unten in Südamerika, nicht besser, aber geschätzter für das, was ich kann.

#

Ein Taxifahrer in Buenos Aires, der – wie alle hier – für die Dauer der Fahrt die Funktion eines Vertrauten übernimmt. „Du musst aufhören, gegen dein Herz zu kämpfen, Mädchen“, sagt er. Folge deinen Gefühlen, das habe ich immer gemacht, dafür habe ich vier Kinder von drei Frauen und alle liebe ich sie, erzählt er weiter. Nun, ich habe sie nicht, diese Leichtigkeit der Emotion, wie sie hier in Argentinien oder Chile ist. Ich bin ich. Ich bin hier leichter, aber nicht leicht genug. Aber ich lerne es, leichter zu werden.

#

Die Erkenntnis, dass Letzteres genau das ist, was vollkommen okay ist. Und damit das Schönste in dieser Woche für mich gefunden. Und das Gefühl, dass sie Entscheidung, im April wieder in dieses Land mit den Vulkanen am Ende der Welt zurück zu kehren,  die richtige ist.

#

Der Verehrer lässt mich nicht in Ruhe. Ich lasse gewähren. Leichtigkeiten.

[Was schön war] #kw06/18.

Was in der vergangenen Woche schön war. (Und immer noch schön ist.)

#

Noch einige Interviews geführt, die interessante Artikel versprechen. Allerdings hatte ich auch einen eher drögen Gesprächspartner, der nicht so recht wollte. Ich denke, es lag nicht an mir, sondern er ist tatsächlich so. Ich hoffe mal, seine Geschäftspartnerin sorgt im Business für mehr Leben als er.

#

Eine Friseurin aus Berlin in Santiago kennengelernt, deren Salon „Berlin“ heißt. Kannste nix falsch machen. Sie schaute sich meine Haare an und meinte: „Beim nächsten Mal kommst du zu mir.“ Ich habe dann wohl eine Friseurin vor Ort.

#

Mit dem Verehrer einen Tag am Meer verbracht. Und obwohl es ihm anfangs nicht gut ging (Magen), hatten wir einen superschönen Tag, gänzlich ungestresst und mit gutem Kaffee. In einer Woche muss er wieder arbeiten und diese kleine Ungesetzlichkeit in Punkto Krankschreibung wollte er unbedingt mit mir teilen.

#

Viel aus der Vergangenheit des Verehrers erfahren. Er macht auf.

#

Sonntagsherausforderung: bei 35 Grad auf den Hausberg Santiagos gewandert. Nur 300 Höhenmeter und 2 Kilometer Weg. Hinterher platt wie eine Flunder, aber glücklich.

#

Verdammt viel und verdammt gut gegessen. Ich steige jetzt aber wieder auf Salat um.

#

„Wenn du glücklich bist, bin ich glücklich.“

WMDEDGT 02/18.

Frau Brüllen erhebt regelmäßig am 5. eines jeden Monats, was in der Bloggerwelt den Tag ausmacht. Und alle schreiben und liefern. So auch ich, diesmal aus Santiago de Chile.

#

Dank meiner fabulösen Schaum-Ohropax nur einmal vor der Zeit um kurz nach sechs aufgewacht, als die Feuerwehr über die nahe Hauptstraße raste – sie trägt hier den Namen „Bomberos“ und ich finde, das passt absolut zu den Geräuschen, die deren Signalhörner ausmachen. Deutsche Feuerwehren mit dem Martinshorn sind ein Flüstern gegen das Gebrüll, das diese Sirenen hier ausstoßen. Weitergeschlafen bis um halb neun der Alarmwecker meines Handys anging. Auch nicht mit Ohropax zu überhören.

Ich hüpfte schnell ins zweite WG-Gemeinschaftsbad, damit meine argentinischen Nachbarn nicht allzu lange warten müssen. Denn anders als ich haben sie eine Mission und die heißt: einkaufen. Die Nachbarn von der anderen Seite der Anden fallen regelmäßig an langen Wochenenden oder in den Ferien nach Chile und insbesondere Santiago ein, um ihre riesigen Koffer mit den hier günstigeren Produkten wie Kleidung, Spielsachen oder Bildschirmen zu füllen.

Außerdem wollte ich noch meinen Flug umbuchen. Drei Tage mehr in Santiago, um noch einige Dinge zu erledigen und vorzubereiten, bevor ich nach Buenos Aires und von dort aus (vorerst) zurück nach Berlin reise. Der Hotline-Mensch von Opodo war wirklich hilfsbereit und obwohl die Umbuchung fast genauso teuer wie der (billige) Flug war, hatte ich kein Magengrimmen. Es ist gut so, die Entscheidung, zeitweise hierher zu gehen, steht, und nun muss eben alles in Gang gesetzt werden.

Ich frühstückte auf dem Balkon ein großes Stück der Empanada, die wir gestern auf dem Rückweg von San José de Maipo an der Straße erstanden hatten. Merke: Nutella wird deutlich streichfähiger, wenn sie nicht frisch aus dem Kühlschrank kommt. Um viertel nach elf machte ich mich businessfein, denn um 12 sollte ich in Providencia in einer Reiseagentur sein, um ein Interview für die Zeitung zu führen.

Die Metro kam prompt, auch die Anschlussmetro, und so blieben mir noch einige Minuten, um die Threads der verschiedenen WhatsApp-Gruppen zu lesen. Ich bin in den Gruppen „Buenas de Buenos“, „Gintastic“, „Lunes tortuoso“, „Girls Night Out“ und „DaF-Damen“, was ziemlich gut beschreibt, mit was für Leuten ich verkehre – nur den Guten!

Das Interview war eher etwas dröge, die Themen eher faktenorientiert nachfassend denn wirklich mit etwas Neuem. Aber gut, es soll ja auch um eine Übersicht zu einem bestimmten Thema gehen. Immerhin: der Gesprächspartner hatte einige gute Tipps für mich parat, an wen ich mich noch wenden könnte, um mich hier beruflich noch besser zu etablieren. Nach einer dreiviertel Stunde waren wir fertig und ich überlegte kurz, ob ich noch auf den nahen Hausberg von Santiago fahren sollte, die Aussicht erschien am heutigen Tag so klar und die Temperaturen lagen im angenehmen 25 Grad plus x-Bereich. Ich entschied mich aus Hungergründen dagegen und machte stattdessen Bekanntschaft mit der Roten Linie. Meine U-Bahnstation wird nämlich von zwei Linien befahren, aber nur die grüne Linie hält auch tatsächlich. Die rote Linie fährt noch eine Station weiter. Ich stieg versehentlich in die rote und musste dann an der Folgestation den Bahnsteig gegenüber aufsuchen, um eine Station zurück zu fahren. Und ich stieg… – ja, genau. Wieder in die rote Linie. Und fuhr erneut an meiner Station vorbei. Ich bin nicht rotgrünblind, falls diese Vermutung aufkommen sollte. Ich bin nur blöd.

Immerhin war ich um kurz vor zwei wieder in der WG, schnappte mir das Telefon und führte noch einige Gespräche mit der Schule im Süden von Chile, die mir ein Jobangebot gemacht hatte. Alles im Fluss, der Vorstand hat zugestimmt, nun hängt es ein bisschen von der Schulleiterin ab, ob sie mich noch einmal persönlich sehen möchte oder auch so meiner Einstellung zustimmt.

Der Verehrer fragte an, warum ich ihn nicht informiert hätte über den Stand der Dinge und ich dachte ein bisschen darüber nach. Ja, warum eigentlich nicht? Gegen 16 Uhr machte ich mir einen Kaffee. Der wirkte immerhin so gut, dass ich über eine Stunde schlief. Immerhin ein Privileg, wenn man keinen festen Arbeitsplatz hat. Man kann auch einfach mal auf dem Bett liegend über seinem Laptop einschlafen. In WhatsApp waren wieder etliche Nachrichten aufgelaufen und ich fragte mich, wie das vorher mal war. Ich bin erst seit einem Jahr auf WhatsApp richtig aktiv, eigentlich erst seitdem ich den Verehrer kenne, denn das ist hier und anderswo in Lateinamerika die einzig gangbare Kommunikationsform – gangbar nicht im Sinne von „die Menschen gehen schneller dadurch, dass sie Nachrichten auf ihrem Handy tippen“! Freunde wollten nach der Arbeit ins Pub, aber weder der Verehrer noch ich hatten Lust und wir entschieden unabhängig voneinander, zuhause bleiben zu wollen. Ich schrieb noch ein bisschen an einem Artikel herum und machte mir gegen acht einen Salat und Pasta mit Thunfisch-Tomaten-Sauce.

Nach dem Essen und einer Dose H*inecken-Bier war ich ziemlich müde. Ich ging nach einem kurzen Schnack mit meinen anwesenden WG-Genossen – der brasilianischen Anwältin auf Sinnsuche und dem Wohnungsinhaber – in mein Zimmer, wo ich noch ein bisschen las, mit dem Verehrer sprach und schließlich einschlief.

[Was schön war] #kw04/18.

Was in der vergangenen Kalenderwoche schön war, diesmal in der Wüstenversion.

#

In einem Salzsee gebadet und viel Spaß dabei gehabt, wie ein Korken auf dem Wasser zu treiben und auch nicht ein My Tiefgang zu haben. Die Salzkruste überall hinterher war nicht ganz so prickelnd, aber nach dem Duschen war die ganze Haut wunderbar weich.

#

Um vier Uhr morgens aufgestanden und zu einem Geysirfeld gefahren. Händchenhaltend mit dem Verehrer vor den heißen Fontänen gestanden und die Situation für ganz gut befunden.

#

Sehr über den bissigen Humor der Freundin des Verehrerfreundes gelacht.

#

Mit dem Verehrer einkaufen gewesen. Spaghetti Bolognese zur Zufriedenheit aller gekocht und nicht nur dafür um Mitternacht hochgelebt worden. Am Geburtstagsmorgen mit einer Torte überrascht worden. Am Abend nach sieben Tagen und 24 Stunden täglichem Zusammenseins das Alleinsein auf dem Balkon der WG sehr genossen.

#

Den Verehrer am nächsten Tag nach seiner Operation als einzige besuchen dürfen: „Alle anderen gehen mir auf die Nerven.“

[Was schön war] #kw03/18.

Was in der vergangenen Woche schön war, jetzt auch in der Hauptstadtversion.

#

Die temporäre WG bezogen und ziemlich Glück gehabt. Die Gastgeber sind nett, entspannt und selten daheim. Mein Zimmer ist hell, geht nicht zur Hauptstraße sondern zur kleineren Seitenstraße hinaus und hat einen Balkon sowie Aussicht ins Grüne. Die WG-Katze Simon schätzt den direkten Kontakt und sorgt bei allen WG-Genossen für Freude und Entspannung.

#

Am Dienstag dann das große Wiedersehen mit dem Verehrer. Entspannt, vertraut und so, als ob 7 Monate Trennung nie gewesen wären.

#

Am Mittwoch auf einem Networking-Termin hilfreiche Gesprächspartner kennengelernt. Allmählich kann ich dieses Smalltalk-Ding, auch, ganz ohne Nettfindenmüssen.

#

Am Donnerstag mit dem Verehrer erst lecker essen gewesen und dann die örtlichen Bierspezialitäten getestet. Gut, dass ich ein Ibuprofen dabei hatte.

#

Am Freitag den besten Freund des Verehrers und dessen Freundin kennengelernt und mit allen dreien gemeinsam in die Wüste geflogen. In den Folgetagen viel gesehen, gefahren, geschwitzt, den Staub aus den Augen gewischt und mich mit dem Verehrer und der Reisebegleitung sehr wohl gefühlt.

 

[Was schön war] #kw02/18.

Was in der letzten Woche schön war? Sehr vieles.

#

Mein Kontaktmann vermittelte mir schon in der vergangenen Woche zwei super Interviewpartner für einen Wirtschaftsartikel. Mein spontaner Besuch auf einer der größeren Biofarmen in Südchile wurde nicht nur durch das Vergnügen der Bekanntschaft mit der deutschstämmigen aber nichtsdestotrotz sehr modernen (hier neigen viele Deutschstämmige zu einer schwer verständlichen Nostalgie zur vermeintlich perfekten Heimat) Betreiberfamilie verschönert, sondern auch durch die Gelegenheit, beim Schafetreiben und Trennen der Mutterschafe von den Lämmern zu helfen und gleichzeitig Fotos zu schießen und Interviews zu machen.

#

Durch die Vermittlung der Chefin der Biofarm sehr unverhofft zu einem Vorstellungsgespräch am Freitag gekommen. Eine weitere Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in Santiago bekommen. Man darf gespannt sein.

#

Sehr gut Sushi und Fisch gegessen. Es isst und lebt sich gut in diesem Teil Chiles, rund um den Llanquihue-See.

#

Mich mit neuen Bekanntschaften getroffen, viel Bereicherung für meinen Geist erhalten.

#

Spontan entschieden, eine Nacht auf der wilden Insel Chiloé zu verbringen. Pinguine und Robben gesehen, eine Bikertruppe aus Thüringen getroffen und ein bisschen gequatscht. Ganz allgemein sehr gern über Land gefahren.

#

Mich sehr über des Verehrers Absicht gefreut, mich am Montag vom Flughafen abzuholen, aber freundlich abgelehnt. Nach sieben Monaten des Nichtsehens ist es doch besser, noch ein wenig Akklimatisierung zu haben.

#

Am letzten Abend im Süden Chiles noch einmal mit der chilenischen Freundin und dem Bekannten getroffen und bei viel zu lauter Musik, viel zu viel Essen und Bier sehr viel Spaß gehabt.

[Was schön war] #kw01/18.

Was in der vergangenen Kalenderwoche schön war, erneut in einer Reiseedition aus Südamerika, Sie erinnern sich noch?

#

Den ersten Januar ziemlich müde und erschlagen – auch „nur“ vier Stunden Zeitverschiebung sind eine Herausforderung – erst im Hotelzimmer und dann bei der syrischen Freundin auf dem Sofa verbracht. Sie lebt mit ihrer Schwester und deren Tochter in der Wohnung eines Verwandten und würde lieber alleine wohnen. In Syrien hatte sie ein Leben, in Buenos Aires nur ein Überleben, sagt sie und sieht sehr traurig aus. Aber seitdem sie Arbeit hat, ist die Hoffnung auf ein eigenes Leben zurückgekehrt und ihr bissiger Humor ist nicht nur mehr zynisch.

#

Durch Buenos Aires gewandert, soweit das lädierte Band am rechten Knöchel mich tragen mochte. Leider nicht allzu weit, aber am dritten Tag konnte ich die orthopädische Bandage schon im Hotel lassen. Bei über 30 Grad eine Wohltat.

#

Mir einen anderen Teil von Argentinien angesehen: Bariloche in den Andenkordilleren an der Grenze zu Patagonien. Ein alpines Panorama mit riesigen Seen, bewaldeten Hängen und schneebedeckten Gipfeln – ganz wie im Süden Deutschlands oder bei den Alpennachbarn. Kein Wunder, dass sich hier Einwanderer aus der Schweiz und aus Deutschland so wohlfühlten.

#

Am Samstag mit dem Bus von Bariloche nach Osorno in Chile gefahren. Wie immer ist es im oberen Stockwerk auf den vorderen Plätzen am Besten. Was für eine wunderbare Landschaft! Auch, wenn Osorno keine chilenische Perle ist: ich aß ein hervorragendes Crudo (etwa: Hackepeter auf Toast), trank dazu ein gutes Bier und freute mich ganz allgemein, wieder in Chile zu sein. Und ja, es gibt definitiv einen Mentalitätsunterschied zwischen Argentiniern und Chilenen.

#

Am Sonntag dann die Ankunft in Frutillar mitsamt Spontanverliebtheit in den Ausblick auf den Vulkan Osorno. Ich befürchte, mein Handy platzt irgendwann, weil ich gefühlt 100 Fotos dieses fast perfekten Bergkegels geschossen habe. Dieser Vulkan übt eine ungeheure Anziehungskraft auf mich aus. Vermutlich ist es das, was bei spirituellen Zeitgenossen „mystische Verbindung“ genannt wird. Mir nimmt er einfach nur den Atem.