Schlüssel.

„Hier hast du den Schlüssel“, sagt der Verehrer und drückt mir einen Schlüsselbund in die Hand. Ich hätte jetzt also die Gewalt über seine Wohnung, seine Schrankinhalte. Die Schlüsselgewalt. Wer hätte das gedacht. Sowas kommt von sowas. Das ist in Telenovelas immer so.

Von sowas war an jenem Karfreitagabend 2017 auf der Dachterrasse des Hostels in Valparaiso noch nichts zu ahnen. Ich war  der Großstadtüberforderung in Richtung Meer entflohen. Dort angekommen, machte ich das übliche Sightseeing, speiste vorzügliches Thunfischsteak und kaufte mir zwei Bier im Späti. Danach beschloss ich, diese seltsame Ansammlung von feiernden Menschen im Hostel genauer in Anschein zu nehmen. Drei frisch examinierte  Traveller aus Deutschland, drei nicht mehr ganz frisch examinierte Chilenen, eine Truppe älterer Franzosen und ich verstanden uns bei Asado (Massen von Grillfleisch), Rotwein, Bier und einigen großzügig geteilten Joints relativ schnell relativ gut. Besonders mit den Franzosen schwatzte ich munter drauflos, denn nach zwei Wochen Chile und Sprachkurs verstand ich vom hiesigen Idiom immer nur noch knapp die Hälfte.

Was dann irgendwann auch egal war, denn: wir sangen. Völlig egal, was, Bob Marley zur Klampfe geht ja immer, und insbesondere der sehr hochgewachsene Barthipster da sang überaus gut. Bisweilen kreuzten sich unsere Blicke, wir lächelten uns kurz an. Aber wie das so ist, wenn man gerade mal knapp ein Dreivierteljahr verwitwet, Mitte Vierzig und lang dem Flirten abhold war (wenn nicht schon immer, mir fehlt da offenbar ein entsprechendes Flirtgen), die fremde Sprache nicht mal ansatzweise beherrscht und überhaupt: ich legte es unter „so sind sie halt, die Latinos“ ab.

Am nächsten Morgen war von den Truppen nichts zu sehen, denn ich hatte mich gegen drei Uhr sehr, sehr müde verabschiedet und die Party ging sicherlich noch bis zum Morgengrauen weiter. Erst am Ostersonntag zum Frühstück bekam ich ihn wieder zu sehen. Er saß alleine am Tisch und wie das so ist, als gelernte Deutsche setzt man sich nicht einfach dazu, sondern parkt sich an einen Nachbartisch. Gesellschaft leistete mir dann aber schnell die Hostelchefin, die mich schon am Vortag quasi adoptiert hatte. Wir schwatzten ein bisschen radebrechend über unsere Witwenschaft, das Leben im Allgemeinen und Besonderen, während am Nebentisch die Ohren sichtbar wuchsen. Nach dem Frühstück fragte er mich, ob ich Lust hätte, zurück in Santiago mal etwas Essen zu gehen.

Wir gingen Essen. Wir gingen Trinken. Wir tanzten. Wir entdeckten ziemlich viele Gemeinsamkeiten. Ich begann, ihn meinen „Verehrer“ zu nenne. Ich war seine „Schöne“. Nach meiner Abreise aus Chile verabredeten wir uns im Juli in Montreal, wo wir weitertanzten, sangen und frühstückten. Davor und danach schickten wir uns jeden Tag unzählige Nachrichten, telefonierten und hielten uns auf dem Laufenden, wie es uns denn so ginge. Wir gingen auch mit anderen aus, aber wir blieben immer der Verehrer und die Schöne. Dann organisierten wir transkontinental einen gemeinsamen Urlaub. Nach sieben Monaten des Nichtsehens von 0 auf 100 war dieser für uns eine Belastungsprobe, aber überwindbar. Er nannte mich seine „sture Deutsche“. Ich nannte ihn „Verrückter“. Meine Entscheidung, mich in Chile zu versuchen, wollte ich dennoch nicht von einem Mann abhängig machen. Deshalb ging ich auf Distanz, zu seinem Unverständnis.

Noch mehr – verständliches – Unverständnis erntete ich nach meiner Immigration, als ich erst einmal mit einer Freundin zu deren Familie reiste, ohne mich sofort mit ihm zu treffen. Eine beleidigte Woche später sahen wir uns wieder, wir aßen zusammen, tranken zusammen, gingen tanzen, mit Freunden essen, auf Konzerte, ins Kino und hielten Händchen in jeder Hinsicht. Er nennt mich seinen „kleinen, sturen Albtraum“, ich nenne ihn weiterhin den Verrückten. Nun habe ich den Schlüsselbund des Verrückten und schließe die Türe auf.

Sie wollten es ja wissen, wie die Telenovela begann. Das haben sie jetzt davon.

 

12 Gedanken zu „Schlüssel.

  1. „Nä, nä, nä, ….SSüdamerikaner, lieber vorssichtich ssein und sich viel Zeit lassen. Und bloß nich gleich heiraten!“ hätte meine Oma aus SSüderbrarup gesagt.

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