In einem lateinamerikanischen Land zu leben, heißt nicht nur, seine gewohnte Komfortzone aufzugeben und menschliche Nähe in jeglicher Form passieren zu lassen. Das Sardinengefühl in den öffentlichen Verkehrsmitteln, die ohrenbetäubende Lautstärke aller Verkehrsmittel sowie ein gerüttelt Maß an körperlicher Anteilnahme bei familiären Erzählungen – alles das ist die verlangte Grundtoleranz für ein Leben hier. Geschenkt. Man gewöhnt sich schnell daran.
Es heißt auch, das Gefühl für den eigenen Körper zu überdenken. Eine Sache, an die ich mich nicht so schnell gewöhnen kann und über deren Verankerung und Folgen in der Gesellschaft ich noch ein wenig nachdenken muss. Frauen werden hier nämlich seit frühester Kindheit trainiert, sich über das Aussehen zu definieren. Nicht nur werden weiblichen Kleinstkindern Ohrlöcher gestochen (ja, das gibt es auch rund ums Mittelmeer, ich weiß, aber ich halte das für absolut schrecklich), werden die Schuluniformen immer noch streng nach Geschlechtern getrennt und die Röcke der Schulmädchen überaus kurz geschneidert. Es werden auch früh Make Up und Haare optimiert, bis dann nach der ersten oder zweiten Schwangerschaft in besser situierten Kreisen Fett abgesaugt und Brust aufgebaut und in weniger begünstigten dann exzessiv gesportelt und gleichzeitig gehungert wird. Weiße Haare gelten als Distinktionsmerkmal für Unterschicht, Falten ebenso.
Alles in allem hat eine Frau in Lateinamerika schön zu sein, jung und gerne auch mit einem für die üblichen schlanken Figuren übermäßig großem Steiß ausgestattet. Dass dieser nicht auf Bäumen wächst – klar. Die Narben verschwinden in der Gesäßfalte und das Silikon sitzt. Oder wie der venezolanische Freund meinte: „Bei uns machen die Frauen klar, dass der Mann für ihre dauerhafte Schönheit zu zahlen hat. Dafür bekommen sie die Kinder und betutteln ihn.“ Nun ja. Muss ich halt selbst zahlen.*
Meine eigene Körperlichkeit hat hier zumindest einen Schub in Richtung Fitness erhalten. Die Wege zu Fuß sind lang, drei bis vier Kilometer täglich keine Seltenheit, es gibt ein eigenes Fitnessstudio im Haus und der Swimming Pool wartet auf wärmere Temperaturen und mich. Außerdem habe ich so viel getanzt wie seit 15 Jahren nicht mehr. Meine europäische Hüfte tut zwar nach einer Tanznacht bisweilen heftig weh, aber von der vom Verehrer bekrittelten Steifheit ist nichts mehr zu merken.
Die #metoo – Bewegung ist hier allerdings auch angekommen, durchaus mit der Aussage, dass das Aussehen einer Frau unerheblich sei für ihren Wert und den Respekt, der ihr entgegen gebracht werden muss. Man darf gespannt sein, ob sich das Bild ändert.
*war ein Scherz