Abgrund.

Ein Land bewegt sich am Abgrund. Solch eine Metapher wollte man sicherlich immer mal schreiben, wenn man Überschriften texten muss. Nur, wenn man mittendrin ist, dann macht es deutlich weniger Spaß nach schönen Worten zu suchen. Dann möchte man die Wahrheit schreiben oder vielmehr schreien. Dass die Tränengaswolken bis an die Straßenecke reichen, an der dein Büro liegt. Dass Gummigeschosse auf den Straßen zu finden sind, während ihre Empfänger sich nicht behandeln lassen können, weil es keine Versorgung mehr nach Beginn der Ausgangssperre gibt. Dass Ausgangssperre sich viel harmloser anhört als sie ist. Ein Land in Geiselhaft. Dass diese Gesellschaft tief gespalten ist. In jene, denen es (noch) gut geht und jene, denen es nie gut ging. Dass die öffentlichen Schulen eine Katastrophe sind. Dass die Viertel, in denen ich unterrichte, mit der Realität des Landes so viel zu tun haben wie eine Bockwurst mit einer Kanone. Dass sich Kollegen, Freunde und Bekannte verschanzen und anfangen einander aufzulauern. Dass die Menschen, mit denen ich täglich zu tun habe, sehr wenig von der Realität in diesem Land wissen (wollen). Dass ich froh bin, andere Freunde zu haben. Dass ich mich durchbeißen werde.

Über viele Dinge könnte ich schreiben. Aber ich vergrabe das alles erst einmal in mir. Und hole es wieder heraus, wenn ich sehe, dass der Abgrund nicht mehr ganz so nah ist.

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