Quarantäne, Lockdown & Co.

Nachdem in Deutschland und einigen Ländern Europas die Infektionszahlen wieder stark ansteigen und alle bereits über eine zweite Krankheitswelle stöhnen, die mit ganz furchtbaren (Masketragen! Abstand halten! Nur mit wenigen Personen treffen! Nicht mehr reisen!) Einschränkungen verbunden ist, darf ich mal kurz was loswerden? LEGT EUCH GEHACKT!

Ich sitze am anderen Ende der Welt und habe das jetzt langsam satt. Für Sie kurz zur Erinnerung:
– seit 12. März – also bereits eine Woche vor der offiziellen Verkündung, war ich faktisch in Quarantäne, denn eine Schülerin hatte die Krankheit von einer Reise aus Deutschland (sic!) mitgebracht. Als Folge wurden wir alle in institutionelle Quarantäne geschickt.

Exkurs: Was ist institutionelle Quarantäne? Kennt Ihr in Deutschland jetzt auch. Schüler, Lehrer und sonstiges Personal, das eventuell in direktem Kontakt mit der infizierten Person kam, werden sofort nach Hause geschickt, um dort auch zu bleiben. Nix mit Einkaufen, Freunde treffen und so weiter. Liefern lassen, Türe zumachen und aus die Maus. Ich gebe zu: Ich habe es nicht eingehalten. Weil ich gerade am Umziehen war und mir den Haushalt einrichten musste. Ich habe mir das Meiste liefern lassen, aber eine komplette Quarantäne war das nicht.

– die kam nämlich am 18. März abends ab 23 Uhr mit Beginn einer nächtlichen Ausgangssperre, die wir im Übrigen hier immer noch zwischen 23 Uhr und 5 Uhr haben.

Exkurs: Wie kann ich mir eine Quarantäne in Chile vorstellen? Nun, zunächst sind erst einige Bezirke mit hohen Infiziertenzahlen in Q. geschickt worden. Q. heißt: Keiner darf ohne Grund und Passierschein – online zu beantragen, personalisiert und limitiert – raus und zwar raus vor die Grundstücksgrenze. Anfangs kontrollierte das Militär mit, später dann die Polizei und die Ordnungsamtsmitarbeiter: Bitte den Passierschein vorzeigen, ID-Karte und bei Verstößen kostet es dann auch ziemlich empfindliche Strafen ab 60 Euro (hier ein kleines Vermögen) aufwärts oder Knast

– Die Q. dauerte mit Mitte April. Ich durfte, je nach aktueller Verlautbarung für verschärfte Maßnahmen pro Bezirk, entweder einmal pro Tag, sieben Mal die Woche oder fünf Mal die Woche oder sogar nur zwei Mal pro Woche raus. Für Gassigehen, Einkaufen, Bankgeschäfte, Arztbesuche etc. Alles nur mit gutem Grund und bei Überschreitung des Limits gab es bei der virtuellen Polizeiwache den Hinweis „Ihr Kontingent ist ausgeschöpft“.

Exkurs: Die teilweise heftigen Limitierungen hatten diverse Folgen. Eine Stunde Schlangestehen vor dem Supermarkt, weil nur limitierte Anzahl von Kunden reindürfen. Heimliche Hunderunden mit Versteckspiel vor der Polizei und Warnhinweisen unter Hundebesitzern, wo denn gerade kontrolliert wird. Isolation.

– Nach zwei Monaten gab es einen sogenannten Phasenplan, der von Phase 1 (absolute Q.) bis Phase 5 (Normalzustand) Zwischenschritte vorsieht, die einigermaßen nachvollziehbar und machbar sind. Einzige einheitliche Maßnahme in der Öffentlichkeit: Maske tragen! In Phase 3 gibt es bereits Ausnahmen davon, z.B. beim Joggen, Fahrradfahren, beim Essen in Cafés und Restaurants (draußen). Aber es gilt weiterhin: Maske tragen. Tot umgefallen ist übrigens noch keiner, komplett verblödet auch niemand. Es scheint also als chilenischer Langzeittest beweisbar: schadet nicht, wer nicht schon vorher einen Schaden hatte.

Wir befinden uns derzeit in den meisten Bezirken Santiagos in Phase 3, d.h. wir können zwischen 5 Uhr morgens und 23 Uhr abends arbeiten, einkaufen, spazieren gehen, Sport machen, whatever. Danach ist Ausgangssperre und basta. Die Limits für Personenansammlungen sind überschaubar, 10 Personen Zuhause sind okay, draußen sind’s eh mehr. Alles handhabbar und oh, Wunder! Die Zahlen sind gesunken und sinken derzeit weiter.

Was hat diese Q. persönlich mit mir gemacht? Das könnte Sie vielleicht interessieren, denn falls es zu einem erneuten und gegebenenfalls erweiterten Lockdown in Deutschland kommt (dessen Limits ich tatsächlich nicht besonders transparent und auch nicht besonders weitgehend empfand), darf ich Ihnen bereits vorab einige Tipps geben.

  1. Es geht vorbei
    Man überlebt das. Der Mensch ist ein Überlebenskünstler und wenn ich eine Q. mal so mit einem Säbelzahntigerangriff vergleiche, dann finde ich Netflix-Abende und Zoom-Meetings mit Freunden deutlich entspannter. Und es geht vorbei. Hier nach gut fünf Monaten, das klingt echt lang und ist es auch, aber der generelle Konsens war: Nix zu machen, geht vorbei, wir freuen uns auf das Nachher.
  2. Man muss reden
    Der direkte Kontakt zu den Mitmenschen wird in Normalzeiten ja gerne mal als überaus nervig und störend empfunden. Dass der Mensch ein soziales Tier ist, merkt man erst, wenn der persönliche Kontakt auf maximal 2 Personen am Tag und auch nur mit mimikbeschränkender Maske reduziert ist und alle weiteren Kontakte digital stattfinden müssen. Reden hilft. Mit der Freundin/dem Freund, in Zoom-Besäufnissen, in kreativen Zoom-Meetings wie dem legendären „Radio Covid“ meiner Freundin Francisca, das uns immer noch im Gedächtnis geblieben ist. In Telefonaten und Videocalls mit der 12.500 Kilometer entfernten Familie und den Freunden dort. Dem Zulassen von Gefühlen und der verbalen Vermittlung derer. Das allerdings ist eine schwierige Übung, denn die Distanz über die digitalen Medien ersetzt nun mal keine Umarmung. Aber siehe Punkt 1: Es geht vorbei.
  3. Gefühle zulassen
    Siehe Punkt 2. Nicht nur drüber reden, sondern auch zulassen. Die Wut, die einen packt, weil mal wieder eine Verschärfung der Maßnahmen den Lagerkoller verstärkt. Die Wut auf die „frei“ lebenden Freunde in Deutschland, während man hier im eiskalten Winter in Chile in seiner Wohnung hockt und nur denkt: „Ey, jammert Ihr auf hohem Niveau dort!“ Die Wut auf die Covidioten, die leugnen, negieren und sich ihr Selbstwertgefühl aus ihrer beschissen engstirnigen Peer-Group ziehen.
    Die Freude über 15 Minuten Sonne am Tag, draußen, Schmetterlinge im Winter!
    Den Hass auf den Partner, weil er – arbeitslos – den ganzen Tag im Bett liegt und nachweisbar mit anderen Frauen anbändeln will. Die Ohnmacht, ihn nicht eben einfach vor die Türe setzen zu können und sich im Anschluss mit den Freundinnen zu besaufen.
    Die Ohnmacht, wenn Reisen ausfällt. Weder Genussreisen noch Arbeitsreisen gehen, man ist isoliert hier am Ende der Welt.
  4. Sich selbst aushalten
    Die schwerste Lektion. Mit sich selbst in Isolation zu leben ist manchmal fast nicht auszuhalten. Ich gebe zu, dass mir nur meine eiserne Disziplin in Sachen Arbeit und Hund geholfen hat. Ansonsten wäre ich wie der Caballero in Bett und Alkohol versunken. Aber ich reagiere in den meisten Krisensituationen mit Stoizismus und mache weiter, suche Alternativen und lenke mich so gut es geht ab. Aber nur auf sich selbst zurück geworfen zu sein, tut nicht gut. Man sollte daher frühzeitig Hilfe suchen, wenn man spiralig dem Abgrund entgegen taumelt. Die Selbstmordrate ist erwiesen gestiegen, die der häuslichen Gewalt auch. Think of it.
  5. Verzicht und Kompensation
    Auch so ein Ding. Es geht auch um Kompensation. Wenn ich nicht mehr reisen kann, esse ich Schokolade. Ich verzichte und gönne mir etwas. Acht Kilo mehr sind kein Verzicht, das ist angefressene Kompensation. Und fünf Monate ohne Sport – auch mit Fitnessprogramm online echt heavy. Ich verzichte auf Konsum und gönne mir teure und hochwertige Kosmetik. Whatever, es war ein Effekt meiner Q.

Und was kommt danach?

Seitdem wir wieder direkten Kontakt zu Freunden und Arbeitskollegen haben dürfen, habe ich zwei Effekte feststellen können:

– Ich musste mich erst mühsam wieder an Menschen gewöhnen. Ansammlungen von mehr als vier Personen haben mir Unbehagen bereitet. Menschen ohne Maske weiche ich aus, wo es geht. Ich treffe mich nur mit wirklich guten Freunden.

– Das hat mir die Q. auch gezeigt: Welche Menschen sind mir wichtig? Ich schwankte in der Vergangenheit immer zwischen Partykönigin und Einsiedler. Die Q. hat mir ein Gleichgewicht beschert. Ich treffe mich mit den Menschen, die mir etwas bedeuten und muss nicht auf Teufel komm raus ein schickes Kleidchen überwerfen und mich zeigen. Die Menschen, die mich während der Q. begleitet haben, kennen mich in Jogginghose, verheult und ungeschminkt.

Resümee

Ich habe es überstanden und wünsche mir, dass es keine zweite Welle in Chile gibt. Ich wünsche mir eine einheitliche und transparente Regelung und einen Stufenplan in Deutschland, der für alle nachvollziehbar ist. Der es mir ermöglicht, nach bald einem Jahr Freunde und Familie wiederzusehen. Ich könnte zwar reisen, aber ehrlich gesagt: Ich will es gerade nicht. Weil ich mich in Deutschland aktuell nicht wohlfühlen würde. Mit Maskenverweigerern, mit Föderalregelungen, mit Freunden, die abdriften in unklare Theorien. Ich hoffe, Sie bleiben gesund. Tragen Sie Maske. Ich werde Sie auch so erkennen, wenn ich Sie sehe. Und mit den Augen flirten geht übrigens ganz ausgezeichnet.

13 Gedanken zu „Quarantäne, Lockdown & Co.

    • Ich mich auch, denn hier in Brasilien ist der lock down zwar lockerer aber auch wir sind isoliert seit März und tragen Maske überall. Ich war gerade in Deutschland, 12 Stunden und schlafen im Flieger, mit Maske, geht alles – das Rumgetue in Deutschland wegen der Marken ist nicht nach zu glauben…
      Grüße aus São Paulo und halten Sie durch!

  1. Ich musste diesen Beitrag teilen – so viele jammern hier und checken gar nicht WIE GUT wir es trotz Corinna haben, wie human hier alles läuft. Das zeigt ja gerade, wie frei Deutschland ist, was von den Covidioten bestritten wird.

  2. Gruesse auch aus Frankreich, nicht weit vom Elsass, wo die Leute ausgeflogen wurden, weil es keine Plaetze auf der Intensivstation mehr gab.Hier auch ab 17.Maerz confinement mit naechtlicher Ausgangssperre, bussgeldbewehrte und polizeilich kontrollierte Ausgangsbegrenzungen von 1h am Tag im Radius von einem 1km, wenn nicht engdefinierter Ausnahmefall. Trozdem sind wir auch wieder bei den Zahlen von Maerz aber this too shall pass.

  3. Pingback: Wieviel Radikalität verträgt unsere Sprache? | franziskript.de

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