ReisePlan.

Gestern wurde ich darauf hingewiesen, wie weit ich doch die Reise schon
vorausgeplant habe. (Ich hatte eine Unterkunft auf Bali gebucht, also einen
Ort, den ich erst in knapp einem Monat bereisen werde.) Abgesehen davon,
dass mir einen ganz kurzen Moment eine Rechtfertigung auf der Zunge bzw. in
den Fingern lag, denn diese „Traveller“, also die Langzeitreisenden, die
dürfen doch gar nicht so lange im Voraus planen und organisieren! also
abgesehen davon, dass ich überhaupt nicht mehr zu diesen Travellern gehören
möchte, verloren in ihrem ganz persönlichen Reisetempo, stimmt es ja.

Ich habe in etwas mehr als vier Wochen eine Reise geplant, die mich um die
Welt führen wird, mitsamt Wohnungen und Unterkünften für einige der Ziele
und den meisten Flügen. Ich habe in Grundzügen die spanische Sprache gelernt
und hoffe, mich nicht vollständig zu blamieren, sollte ich in Südamerika
meine Volunteer-Arbeit aufnehmen. Zu meiner eigenen Erbauung habe ich für
die mir von Freunden und Bekannten gestellten Aufgaben recherchiert und bin
darüber auf Menschen und Geschichten gestoßen, die ich unbedingt näher
kennen lernen möchte. Da scheine ich schon wieder eine Struktur geschaffen
zu haben, die mir entspricht und in der ich mich wohlfühle: reisend
beobachten und beschreiben, mit Aufgaben und Publikationsanspruch.

Dafür plane ich sehr gern vor und klopfe mir ein wenig stolz auf die
Schulter.

Ideenrausch.

Es gibt gute und schlechte Tage. An schlechten Tagen – wie dem gestrigen – ist alles trübe, die Gedanken drehen sich im Kreis, das Herz weint. An guten Tagen wirbeln sie im Kopf umher, schnell, schnell, fang sie, bevor sie davon fliegen! Das Herz fliegt mit und schlägt für alles, was kommen wird.

Dann ist es gut ein Notizbuch zu haben. Franzi hat mir den Indiana Jones unter den Notizbüchern zum Geburtstag geschenkt! (Danke!!! <3) Darin sammele ich ab sofort die Ideen und Gedanken, auf dass sie nicht verfliegen und vielleicht dereinst in erzählenswerte Geschichten einfließen.

Und vielleicht schaffe ich mir unterwegs ja noch einen Indiana Jones-Hut an. Selbstverständlich in der Damen-Version, nur stilecht mit Feder am Rand. Dazu singt Leonard Cohen:

„Trav’ling lady, stay awhile
Until the night is over.
I’m just a station on your way,
I know I’m not your lover.“

KleiderOrdnung.

Der Schrank muss leer werden, bis in drei Wochen die Untermieterin auf Zeit übernimmt. Etliches habe ich bereits aussortiert, weil nun wirklich nicht mehr up to date, altersgerecht oder schlicht fadenscheinig geworden. Aber vor dem Schrankteil mit den Kleidern, den Blusen und der Businesskleidung habe ich mich bislang gedrückt. Mit gutem Grund: anders als bei den T-Shirts, Longshirts, den Jeans und Röckchen haben fast alle dort untergebrachten Kleidungsstücke eine Geschichte oder sind besondere Lieblinge, die zwar nicht mehr „so richtig gut“ passen oder einfach nur noch aus nostalgischen Gründen in meinem Besitz sind.

Zum Beispiel der Nadelstreifenanzug. Mein erster richtiger Businessanzug, geschenkt vom Stiefvater, der an den vorher getragenen Hyper und Munter-Teilchen etliches zu bemängeln hatte – vor allem die Qualität. Und der Nadelstreifige einer guten Marke sieht in der Tag heute noch so edel und schlicht aus wie vor fast fünfzehn Jahren. Ich müsste allerdings auch noch die Figur von vor fünfzehn Jahren haben. Kommt trotzdem in die Einlagerungsbox.

Oder das silberne Satinkleid im Suzie Wong-Stil von Joseph Janard, das ich zum Spottpreis von 39 Euro auf der Durchreise in Rosenheim erstanden hatte. Zweimal getragen, danach war ich auf Premieren oder Empfängen in anderen Kleidchen unterwegs. Aber ich liebe dieses Graffiti-Print auf Silber! Punk meets Lady – da kann mir keiner was.

Ein anderes silbernes Satin-Etuikleid samt Blazer und Bolero wird sorgsam in einen Kleidersack verpackt. Denn es ist mein Hochzeitskleid. Ich habe es danach noch auf einem Ball, einer Party und zu einem Empfang getragen. Das gebe ich niemals her.

Oh, und mein Dirndl! In München erstanden, kein Edeldirndl wie früher, die original Chiemgauer Dirndl oder später dann jene Trachtenkleider aus Salzburg, die meine Großmutter immer trug (auch im Hessischen war das mal gern gesehene Mode). Aber der Mann hatte mich überredet, doch noch einmal ein Dirndl zu erstehen, denn immerhin habe ich ja noch die alten Schürzen meiner Großmutter, das Brusttuch und den Priener Hut, zu dem das schlichte schwarze Leinendirndl mit schwarzen Perlenapplikationen deutlich besser passt als diese ganzen Barbie-Dirndl der Münchner Schickeria. Allein, ich war noch nie auf dem Oktoberfest.

So arbeite ich mich Kleiderbügel um Kleiderbügel vor und erinnere mich an so manche schönen Momente und Anlässe. Es fällt schwer, irgendwie kommt es mir vor, als müsste ich mein Leben Stück für Stück loslassen. Ich seufze kurz auf und denke an die vielen Kleidungsstücke des Mannes, die ich vor nicht einmal fünf Monaten aus dem Schrank nahm, um ihn loszulassen. Leichtes Gepäck, sage ich mir, ein Koffer und den Humor, das Wissen und Mut – mehr brauche ich in den nächsten Monaten nicht. Also weiter, immer weiter.

Dann noch der chinesische Seidengehrock in rot, hart erhandelt und passend sowohl zu Jeans als auch zu Cocktailkleidung. Halt! Der kommt erst einmal nicht in die Einlagerungsbox. Auch das grüne Star Trek-Gedächtniskleid, das Lederkleid und das rote Punktekleid werden vorbehalten. Nur Lieblingsstücke sollen mit auf die Reise. Was kommt mit, was bleibt hier? Das entscheide ich nächste Woche.

In meinen Koffer packe ich… Das wird der erste Beitrag im Reiseblog sein.

Heimat reloaded.

22 Stunden Reise, sich dreckig und speckig fühlen und dennoch das Gefühl zu haben: schade, ich hätte einfach weiterreisen können. Noch ein Stückchen mehr eintauchen in die Welt Asiens. Nun doch endlich die große Kamera auszupacken und mich an eine Straßenkreuzung zu stellen und Fotos von Menschen und vom Leben zu machen. Geschichten zu suchen und mich von Geschichten suchen zu lassen. Rollkofferstories schreiben.

Berlin empfängt mich mit deutlich 30 Grad weniger und der üblichen Kaltschnäuzigkeit seiner Bewohner. Die Wohnung ist auch kalt, obwohl der Freund der schönen Nachbarin die Heizung hochgestellt hat, bevor ich komme (netter Freund, der).

Heimat reloaded ist auch nach nur 10 Tagen schwer. Ich fremdele noch. Der Rollkoffer ist noch nicht ausgepackt. Ob ich nicht einfach wieder in den nächsten Flieger…?

[Was schön war] #kw49.

Reisevorbereitungen sind immer schön, wenn man erst einmal den Tipping Point der Nervosität ueberwunden hat. Bei mir ist das dann der Fall, wenn ich meine Checkliste abgearbeitet habe. Checklisten finde ich spätestens unerlässlich, seit ich vor einer längeren Reise vergessen hatte, Kontaktlinsenreiniger einzupacken. Finden Sie mal in Asien Reiniger für harte Kontaktlinsen. Das ist da nämlich ziemlich unbekannt.

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Bei einem schnellen Kaffee mit @littlebinf in einer Hotelbar am Hauptbahnhof Frankfurt wieder einmal gemerkt, wie wunderbar vielfältig diese Internetmenschen sind. Man kann sich sofort ein Stücck weit zuhause fühlen, wenn man diese vertrauten Fremden trifft. Ausserdem können sie, wie @littlebinf, bisweilen ganz ausserordentlich gute Weihnachtsplätzchen backen, die sie einem dann mit auf die Reise geben.

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Im Flugzeug eine komplette Sitzreihe ganz für mich allein zu haben: unbezahlbar. Genau klein genug zu sein, dass man sich ausstrecken und schlafen kann: nicht in Gold aufzuwiegen.

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Das Flugzeug konnte erst mit einer Stunde Verspätung abfliegen, weil mehrfach ein kompletter Neustart der gesamten Bordelektronik notwendig war. Wir saßen also teilweise im komplett dunklen Flugzeug. Man mag sich nun ungern die Situation vorstellen, dass das während eines Flugs passiert. Da hilft dann auch keine Ironie à la „Techniker ist informiert“. Aber wir flogen ohne Zwischenfälle, und ich konnte auch noch knapp meinen Anschlussflug erreichen.

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Mir am ersten Tag ein komplettes Wohlfühlprogramm verordnet: die Thaimassage zauberte die Reste meines Hexenschusses fort, knallroter Lack verziert seitdem meine Fußnägel, und nachdem die Klimaanlage im Zimmer ausfiel, wurde ich kurzerhand geupgradet und habe nun ein Zimmer mit Privatminipool und allem Pipapo.

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Mit einem schon seit langer Zeit auf der Insel und in Thailand lebenden Ex-Freund getroffen und einen lustigen Abend verbracht. Er ist immer noch auf spiritueller Sinnsuche, ich bin in seinen Augen immer noch ein typischer Wassermann. Grund genug, sich gut daran zu erinnern, warum ich mich damals trennte. Nichtsdestotrotz ist er immer unterhaltsam und zeigte mir einige der netteren Locations. Außerdem will er Bio-Bauer und Selbstversorger werden, irgendwo im Norden Thailands. Ich fände ja Bio-Brauer interessanter und absatzorientierter. Aber auch da gilt: ich bin halt ein am Geld (nun ja, nennen wir es mal lieber Unabhängigkeit) orientierter Wassermann, und er spiritueller Zwilling und noch dazu Ingenieur. Da sollte das mit der Bio-Bauerei für ihn ja ein Klacks sein.

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Mir trotzdem und vielleicht auch gerade, weil ich unter der buddhistisch-lächelnden Oberfläche  bisweilen seine Einsamkeit spüren konnte, die Frage gestellt: Was macht das lange Reisen oder Leben alleine mit einem? Kann ich das? Will ich das? Ich mag nicht sofort mit Fremden in Kontakt kommen. Auch der ebenso gut organisierte wie lustige Abend mit einer Koch- und Cocktailmixgruppe konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass mein Reisen ein sehr einsames ist. Die täglichen Routinen sind daher wichtig; ohne sie würde ich den Halt verlieren. Ich brauche Aufgaben, auch für unterwegs.

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Mir Gedanken über die Zukunft gemacht. Acht Monate gebe ich mir, wenn ich das Sabbatical wirklich wahr mache. Das sollte reichen für Kambodscha, Bali, Neuseeland (Drachenbootära-Freundin besuchen), Chile, Peru (vielleicht), Argentinien (Ex-Lover besuchen, Tango und Spanisch lernen), Costa Rica (vielleicht), Tobago (Schulfreundin besuchen), USA und Kanada (mit der Familie reisen) und noch einige weitere Ziele.

#Brexit.

Wenn die Raute auftaucht, wird es ein Aufregerthema im Netz, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Der Witze sind genug gemacht worden, aber in meiner kleinen Filterblase wurde der Volksentscheid zum britischen Ausscheiden aus der EU geschockt und traurig aufgenommen. Sogar ich konnte nicht wirklich Geschmack an Witzchen finden, mit denen ironisch kommentiert wurde. Nach zwei blöden Sprüchen dazu hatte ich auch keine Lust mehr.

Als überzeugte Europäerin erreichte mich die vollumfängliche Nachricht vom #Brexit an einem polnischen Frühstückstisch und verdarb mir ein klitzekleines Bisschen den Appetit. Europa bzw. die europäische Idee ist so tief in mir verankert, dass ich mir nur schwer vorstellen kann, dass einer unbedingt wieder aus einem so großartigen, friedlichen und freien Miteinander ausscheren will. (Fällt mir bei der derzeitigen Regierung in Polen schon schwer, deren ungebremsten Nationalismus zu verstehen.) Ich war einige Monate in England an einer Schule, mit einem Franzosen verlobt, habe in Frankreich studiert, gearbeitet und fünf Jahre auch gemeinsam mit polnischen Kollegen Projekte an der deutsch-polnischen Grenze bearbeitet. Für mich existierten Grenzen spätestens seit 1990 nicht mehr, als sich halb Europa in Berlin traf, um gemeinsam einer verheißungsvollen Zukunft entgegen zu feiern.

Mir tut es so leid, dass sich England in eine möglichweise wenig glückliche Zukunft votierte. Und dass sich die Briten offenbar so wenig europäisch fühlen, anders als Viele, die ich das Glück hatte in meinem Leben zu treffen. Über die Gründe bin ich müde nachzudenken. Aber ich möchte weiterhin an der europäischen Idee festhalten und ohne Grenzkontrollen vom Baltikum bis zum Cabo do Sao Vicente in Portugal fahren können. Es ist mir eine Herzenssache.

Alltagsmarginalien (3).

Ich war ein Hotelkind. Meine besten Urlaubsfreunde hießen Jean, der Concierge, und Dogge, die Dogge. Oder Massimo, der Koch, und Gianni, der Skiwachser. Meine Verbündeten im jeweiligen Urlaubshotel ertrugen meine phänomenale Neugierde ebenso freundlich wie meine vielfältigen Versuche, den mich umgebenden Dingen in der fremden Sprache nachzuspüren. Lästig bin ich hoffentlich nur selten gewesen, jedenfalls kann ich mich an keinen Vorfall erinnern, anlässlich dessen meine Eltern zu besserer Aufsicht ermahnt worden wären. Ich lief halt so mit.

Bisweilen erlauben der Mann und ich uns den Luxus, ein Wochenende in einem besseren Hotel zu übernachten, gern auch verbunden mit ausgezeichnetem Essen.* Wir sparen dann nicht, sondern genießen so wunderbare Features wie Fußbodenheizung im Bad, eine große Badewanne oder eine gut gefüllte Minibar.

Was mich aber immer wieder an mir selbst ein ganz klitzekleines bisschen beschämt: ich schaue auf den Etagenfluchtplänen immer noch nach, ob es doch noch größere Zimmer als unseres geben könnte.

Machen Sie das eigentlich auch?

 

*Eine Empfehlung ist auf jeden Fall das Hotel „Kleines Meer“ in Waren (Müritz), das neben einer ausgesprochen geräumigen Junior Suite auch eine hervorragende Küche vorzuweisen hat. Und Waren ist hübsch, es gibt ein, zwei gute Schuhgeschäfte und eine nette Landschaft vor der Tür. Fahren Sie mal hin, das tut dem Aufbau Ost immer noch gut.

Atlantik (Ost).

Am Meer kann ich gut sein. Gut schlafen, während die Brandung rauscht, im Hintergrund Kinderstimmen klingen, Möwengeschrei. Die Sonne wärmt, brennt mir die kleinen – guten – braunen Schatten ins Gesicht und die schlechten unter den Augen weg. Im Wasser durch die nächste Welle tauchen, kalt, kalt, kalt ist es! Aber ein bisschen was geht immer, wir gehen bis auf 15 Grad Celsius runter, keine Zuckerpüppchen. Kleine Kiessteinchen reiben unter den Sohlen, der Sand knirscht zwischen den Zähnen. Süßes Salzwasser auf den Lippen. Ich küsse den, der mir am besten gefiel, damals auf dem Campingplatz.

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15, 16 Jahre alt waren wir, er mit einem jungen, glatten Gesicht, einem Tennisspielerkörper und einer noch zarten Seele. Ich, unsicher, die Haare wieder wachsen lassen oder doch kinnlang, sitzt der Bikini? Am Tag spielen in der Brandung, spätabends Hand in Hand unter der Milchstraße. Siehst du, die Brecher leuchten im Mondschein, sagst du und es ist eine Ferienliebe, wie sie sein soll. Später schickst du mir Briefe mit Fotos, die dich in Schuluniform zeigen, da siehst du jünger aus als ich. Ich antworte mit Bildern in einem verboten kurzen Jeansrock. Was musste ich meine Mutter überzeugen, dass sie auf den Auslöser drückte! Deine Briefe sprechen von Liebe, ich sende verhaltenere Grüße zurück.

Längst ist der Sommer vorbei, der erste, der richtige Freund ist in mein Leben getreten. Irgendwann schreibst auch du nicht mehr, sie heißt Sandrine und sieht mir ähnlich. Im Jahr darauf, wir sehen uns zufällig wieder am Boule-Spielplatz, zögern wir kurz. Wir sind nicht mehr unschuldig. Aber der Atlantik ist derselbe, das Mondlicht, der Strand locken und wir wissen beide, dass wir uns im nächsten Jahr nicht mehr sehen werden.

Sand rieselt über mein Gesicht, ich wache langsam auf und bin fast 30 Jahre älter. Die Ostsee ist nicht der Atlantik. Aber ich habe gut geschlafen.