[Was schön war] #kw26/17.

Die Zeit rast nur so dahin, es ist der fünfte Monat seit dem Beginn meiner Reise und es gab so viel Schönes, so viele schöne Momente und Begegnungen, dass ein Wochenrückblick gar nicht alles wiedergeben kann. Aber nun, fokussieren schadet ja nicht.

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Den letzten Tag in Toronto noch ein bisschen in der Nachbarschaft des Hotels herumgebummelt, ausgezeichnete pikante Waffelburger gegessen und mit der chinesischstämmigen Betreiberin eines Waschsalons geplaudert. Alles sehr heimelig.

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Dann wieder ein neues Land. Diesmal die USA. Seit der Schulzeit hatte ich ein zwiegespaltenes Verhältnis zu diesem Land und seinen Bewohnern. Nicht, weil ich jemals dort gewesen wäre und schlechte Erfahrungen gesammelt hätte, nein, ich bin tatsächlich das allererste Mal im „Land of the free“. Es war vielmehr das Leben in einer von der amerikanischen Armee geprägten Stadt, die ein eigenes Viertel für sich beanspruchte, eigene Läden hatte und die ein Stück weit eine Parallelgesellschaft bildete, die nicht unbedingt ein vorteilhaftes Bild der USA abgab. Und dann noch dieser Trump… Wie angenehm wurde ich doch von Chicago überrascht, einer Stadt, über die ich mir keine Gedanken gemacht hatte. Irgendwas mit Blues Brothers, Al Capone und Backdraft – also von Filmen und Gestalten der Zeitgeschichte geprägt. Wie überraschend also die tolle Hochhausarchitektur, der leichte Wind, welcher die Sommerhitze sehr erträglich machte, die freundlichen und sehr entspannten Leute – und der Stadtstrand am Lake Michigan, an dem ich zwei Nachmittage lang vor mich hin dünstete. Einatmen, ausatmen

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Die Zugfahrt quer durch Illinois und Michigan von Chicago nach Troy, wo mich der Stiefvater abholte. Endlich wieder eine Kleinstadt ohne Hochhäuser, mit Gärten und Villen, mit hübschen kleinen Restaurants und Läden. Einatmen, ausatmen.

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Eine Idee für die berufliche Zukunft nimmt Gestalt an. Luft anhalten. Ins kalte Wasser springen. Schwimmen lernen. Untergehen kann ich immer noch.

WMDEDGT 07/17

Ich habe mal eben den Kontinent gewechselt und dokumentiere jetzt aus dem sommerlich warmen Nordamerika für Frau Brüllen, was ich eigentlich am 5. eines Monats den lieben langen Tag so mache.

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Da ich seit zwei Tagen in Chicago bin und hier eine Stunde später die Sonne aufgeht (jedenfalls ist es hier eine Stunde später als im östlichen Teil von Kanada, wo ich die letzten zweieinhalb Wochen war), wachte ich dennoch pünktlich um 7.30 auf, also um 6.30 und konnte nicht mehr einschlafen. Ich las mich ein wenig durch meine sozialen Medien und schlief noch einmal kurz ein. Gegen viertel nach acht stand ich auf, duschte und räumte das Hotelzimmer ein wenig auf. Das Zimmer ist winzig, liegt in aber in Downtown sehr zentral und ist einigermaßen bezahlbar.

Um halb zehn frühstückte ich ein Sandwich und trank dazu einen für amerikanische Verhältnisse sehr trinkbaren und starken Kaffee. Ich hatte mir diesmal vorgenommen, ein reines Touriprogramm am ersten „ganzen“ Tag in Chicago zu machen, nachdem ich gestern Nachmittag angekommen war und mitten in die Feierlichkeiten zum 4. Juli geriet. Daher lief ich zum „Watertower“ und kaufte ein Ticket für einen Hop on-Hop off-Bus, der mehrere Routen auch in etwas abgelegenere Neighbourhoods anbietet. Die erste Route führte durch die Ausgehviertel in Downtown und ich habe selten einen schlechteren Tour Guide erlebt als Barbo, der offenbar noch das ein oder andere Nationalfeiertagsbier im Kopf hatte. Jedenfalls verhaspelte er sich andauernd und erzählte nur von Restaurants und Bars. Daher entschied ich mich auch, bereits am ehemaligen Sears-Tower auszusteigen und bis in die 103. Etage zu fahren, anstatt bis um Navy Pier mitzufahren, um dann am Ohio Beach in die Fluten des Michigan Sees einzutauchen.

Ich genoss die Aussicht von dort oben, fast einen halben Kilometer über der Stadt, verzichtete aber auf die glasbodenen Plattformen, um die sich die Selfiegeilen Jungmädels balgten. Muss ich nicht haben. Ich bin schon froh, dass ich meine extreme Höhenangst soweit im Griff habe, um mir solche Aussichten nicht entgehen zu lassen.

Gegen halb zwei hüpfte ich wieder in einen der Busse und hatte dann einen wirklich guten Fremdenführer, der mit Humor, der routinierten Entertainment-Attitüde eines ehemaligen Disney World-Mitarbeiters und Sachkenntnis die Rundfahrt angenehm machte. Ich stieg in den Nähe des Hotels aus und machte eine Pause im Hotel, wo ich bis fünf herumgammelte und sogar noch eine halbe Stunde schlief. Inzwischen hatte ich einen Bärenhunger bekommen und verließ das Hotel gegen sechs, um zum „Taste of Chicago“-Festival zu wandern, in den Grünanlagen zwischen Lake Shore Drive und der Michigan Avenue. Das Prinzip dort ist recht einfach: man kauft Bons, die man dann an den Fress- und Trinkständen einlöst. Das erspart den Anbietern das Kleingeldgemache. Weil ich aber meine etwas geizig bemessenen Bons bereits an einem Taco-Stand fast aufgebraucht hatte, bekam ich am Eisstand kein Eis mehr, denn ich hatte keine Lust, mich noch einmal in der Schlange für die Bons anzustellen. Das verstand auch der nette Eismann und schenkte mir das Mangoeis, „because you seem to need something sweet“. Woher er das wohl wusste?

Ich wanderte durch den Park, schleckte mein Eis und lauschte ein wenig einer irischen Folkband, die erstaunlicherweise relativ wenig Anklang beim Publikum fand. Dabei hat Chicago doch eine zahlreiche irischstämmige Bevölkerung. Wahrscheinlich deswegen. Aber ich verstehe davon nichts.

Gegen halb neun machte ich mich auf den Weg zum Hotel zurück, kaufte noch Wasser, etwas zu knabbern und beantwortete unterwegs noch einige Nachrichten des Verehrers, der sich von der Fußball-Schlappe seines Landes im Confed-Cup glücklicherweise wieder erholt hat. Das ständige Herumgejaule, wie ungerecht doch das Ergebnis des Spiels sei, war aber auch nicht mehr auszuhalten…

Im Hotel setzte ich mich noch ein wenig an die Bar, trank ein Bier, unterhielt mich mit zwei Norwegerinnen und ging gegen halb elf in mein Zimmer. Ich pflegte ein wenig meine sonnenverbrannte Nase und ging gegen halb zwölf schlafen.

[Was schön war] #kw25/17.

Was in der vergangenen Woche schön war, in der Reiseedition zwischen Moskitos, Rentnern und Großstadtschluchten.

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Zwei schöne, lange, anstrengende Ritte durch den Algonquin-Regionalpark gemacht. Trotz Dauerregens – und hier hat sich mein sonst anlässlich Berliner Wolkenbrüche auf der Vespa zu tragendes „Zelt“, also mein überdimensionierter Regenumhang schon zum zweiten Mal sehr bewährt. Zumal sich die Moskitos an der wenig atmungsaktiven Oberfläche die Saugrüssel eindellten. Jedenfalls: ich glaube, ich kann jetzt langsam reiten. Das Pferd geht in der Regel dahin, wohin ich möchte, es wechselt die Gangarten, wenn ich das möchte und mich an irgendwelchen Sträuchern oder Bäumen abzustreifen hat auch keines mehr versucht. „You’re a horsewoman“, sagte die Tourbegleiterin, „you know what they think.“ Ich mache also weiter mit diesem lang vergessenen Hobby.

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Auf dem Weg zu den Niagarafällen in einer bezaubernden kleinen Rentner-Disneystadt gelandet. In Niagara on the lake ist alles ein bisschen wohlhabender, ein bisschen ruhiger und ein bisschen britischer als im Rest des Landes. Der Landlord meines Hotels erklärte, dass der überwiegende Teil der Bewohner Beamte mit sicherem Pensionsanspruch oder alteingesessene Torontoer seien, die ihre Grundstücke oder Häuser in den vergangenen Boom-Jahren zu Gold gemacht hätten, um sich hier in der Idylle am Ontario-See überdimensionierte georgianische Villen zu kaufen, um dann mit ihren hässlichen kleinen Schoßhunden zweimal am Tag spazieren zu gehen. Ich fand es sehr hübsch dort, ich joggte am See entlang und durch die Villenviertel. Niemand nervte mich, und im Theater war ich auch.

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In Toronto im Hotel ein Upgrade bekommen, ganz ohne Zutun, einfach nur so, weil die Rezeptionistin Berlin mag und die Freiluftkaraoke im Mauerpark ihr so gefallen hat. Im 16. Stock eine Suite zu bewohnen und ein wenig mehr als die engen Hochhausschluchten zu sehen, hat etwas. Toronto ist wie alle kanadischen Städte bisher: Großstadt und für mich ein sicherer Ort, weil schlimmer als Berlin an manchen Orten geht auch kaum. Wohlgefühl, weil alles funktioniert, wie es soll, gepaart mit dem Gedanken, dass es anderswo nicht so toll ist. Und der Sehnsucht nach genau diesen unperfekten Orten wie Buenos Aires und, ja, auch Santiago, wo der Boden immer wieder atmet.

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Immer noch viele Nachrichten mit dem Verehrer ausgetauscht, langsam kommen wir in den Rhythmus, dass wir uns ganz freundschaftlich aneinander erfreuen können und gemeinsam die jeweils gewünschte Fremdsprache lernen (er: Englisch verbessern, ich: Spanisch nicht vergessen). Wir fragen uns abendlich nach den Fortschritten ab und stellen uns kleine Aufgaben. Dass er sich immer noch sehr um mich sorgt, aus der Ferne und doch so ausdauernd, freut. Auch, als ich am Ontario-See entlang fuhr und wie aus heiterem Himmel eine tiefe Traurigkeit ob des Mannes Tod vor fast einem Jahr auf mich fiel und er mir viele kleine aufmunternde Sprachnachrichten sandte. Ich glaube, ich habe einen guten Freund gefunden. Auch nicht alltäglich.

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Mit der Freundin telefoniert und geerdet worden. „Du kommst jetzt erst einmal wieder nach Hause, und dann sehen wir weiter. Mach dir keine Sorgen, du findest Arbeit, da warten Menschen auf dich und helfen dir, wieder in das Leben zurück zu finden. Wir sind für dich da.“

[Was schön war] #kw24/17.

Was in der vergangenen Woche schön war, wird hier und heute ein wenig vorweggenommen, denn am üblichen Montagsberichtstag werde ich im Nirgendwo des Algonquin-Nationalparks sein und keinen Zugang zu Medien haben, welcher Art auch immer. Wenn ich überhaupt den drei Kilometer langen Weg alleine durch den Wald zur Eco-Lodge schaffe, ohne von einem Bären als Mittagssnack verspeist worden zu sein.

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Mir Montreal noch einmal ganz in Ruhe und alleine angesehen. Der Verehrer hatte mir die wichtigsten Ecken und Sehenswürdigkeiten ja schon gezeigt, aber für die Murales, die Wandbilder im Viertel Mont Royal, und einige weitere Ecken der Stadt war die Zeit zu kurz gewesen. Das holte ich dann am Montag und Dienstag nach.

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Im üblichen Reisewetterdauerregen nach Quebec gefahren. Dort erwartete mich eine schöne Überraschung: das sieht ja aus wie eine französische Stadt, fast wie La Rochelle oder Nantes! Also sehr angenehme Heimatgefühle gehabt, zumal ich nicht mehr gefragt wurde, aus welchem Land ich kommen würde, sondern aus welcher Region Frankreichs. Es ist schön, nicht mehr aufzufallen.

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Bei einer wirklich guten Friseurin gewesen, die mir nach dem argentinischen Desaster-Friseur nicht nur eine tiefdunkelbraune und gleichmäßige Färbung verpasste, sondern auch einen Schnitt, der bei richtigem Styling entfernt an Punk erinnert, ansonsten aber durchaus auch Amelie-Poulain-tauglich ist.

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Mehr oder weniger gemeinsam mit dem Verehrer das Fußballspiel Deutschland – Chile geschaut – wir schrieben uns WhatsApp-Messages und sandten uns Sprachnachrichten bissiger Natur über die jeweiligen Qualitäten der Nationalspieler. Was man halt so macht, wenn es draußen regnet, der Verehrer offenbar keine Lust hat zu arbeiten und überhaupt. So ein bisschen Vermissen auf beiden Seiten darf sein. Hört auch schon wieder auf.

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Den Freitag wiederum im Reisewetterdauerregen von Quebec nach Ottawa gereist. Sieben Stunden, ein ewig langer Stau in Montreal, den ich mit angenehmen Erinnerungen an das vergangene Wochenende überbrückte. Und dann war noch nicht einmal Justin Trudeau in Ottawa anwesend, um mich gebührend zu empfangen! Die Stadt an sich war dann auch recht schnell erwandert, so spektakulär ist Kanadas Regierungssitz nicht.

[Was schön war] #kw23/17.

Und wieder ein neues Land, wieder eine neue Reiseedition von Schönem der vergangenen Woche.

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Abschiedsabend mit den Damen in Buenos Aires. Wie wunderbar, diese Frauen kennengelernt zu haben. Und wie wunderbar wäre es, wenn wir uns wiedersehen könnten. Eine Verabredung dazu haben wir jedenfalls, und wir haben uns auf Sommer oder Frühling in Buenos Aires geeinigt. Winter oder Herbst braucht dort keiner.

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In einem halbleeren Jumbo von Buenos Aires nach Houston eine ganze Reihe für mich zum Schlafen gehabt. Gut und tief geschlafen, bis mich der Steward sehr nett weckte, um mir zu sagen, dass ich sonst mein Frühstück verpasse.

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Gut in Toronto gelandet und dort einige ziemlich mitgenommene T-Shirts und Kleinkram gegen Neuware gewechselt. Einen sehr schönen Bikini gefunden. (Sie glauben ja gar nicht, wie schwierig man es hat, wenn man obenrum etwas mehr Holz vor der Hütte besitzt, aber der Unterbrustumfang eher mittelgroß ist.) Von der Mietwagenfirma von Klein- auf Mittelklassewagen geupgradet worden, weil: „der Kleinwagen ist heute früh zu Schrott gefahren worden“. Jetzt bin ich mit einem BMW-Derivat eines japanischen Herstellers unterwegs und mit dem ersten Einschalten des Tempomaten auf dem Highway in Richtung Montreal beginnt die schleichende Rentnerwerdung.

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Der Verehrer wurde ungeduldig, weil er seinen Urlaubsplan ummodeln musste. Wegen mir. Damit wir uns noch einmal sehen können. In Montreal, wo er bei seiner Schwester urlaubte. Ich wurde ungeduldig, weil ich mich nicht drängen lassen mag. Beinahe hätten wir uns schon vor dem Treffen in die Haare bekommen. Aber dann wurde alles doch einfach und klar, und das Schicksal und ein bisschen guter Wille von zwei Seiten schenkten uns zwei Tage und Nächte miteinander. Was auch immer uns verbindet – es war und ist gut so.

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Abschiede sind niemals schön. Auch, wenn der Verehrer fragt: „Und wo treffen wir uns das nächste Mal? Im Kongo?“ Er behauptet ja steif und fest, dass wir uns wiedersehen werden. Aber das hat er schon beim letzten Abschied gesagt.

Oh. Wait.

(Und ich habe auch fast nicht geweint. Er auch nicht.)

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Das AirBnB hat eine Waschmaschine. Ganz großes Glück auf Reisen.

[Was schön war] #kw22/17.

Die vergangene Woche war vor allem aus einem Grund sehr schön: Wasser. Viel Wasser.

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Die Kurzreise zu den Wasserfällen nach Iguazu am Dreiländereck zwischen Brasilien, Argentinien und Paraguay hat sich voll und ganz gelohnt. Untergebracht war ich in einer Lodge mitten im Wald, mit nichts um mich herum außer dem Quietschen der Geckos und dem Rufen der Vögel. Trotz Dauerregens einen Kolibri gesehen, dessen Insektenschwebeflug alle Regentropfen umging. Dass in der Lodge ausgezeichnetes WLAN vorhanden war, kostenfrei – geschenkt. Ich bin immer wieder entsetzt, wie wenig Kundenorientiert deutsche Hoteliers agieren, indem sie die Kosten für WLAN noch einmal als Extra aufschlagen.

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Einen halben Tag in Brasilien verbracht, südamerikanische Nasenbären von meiner Aussichtsbank vertrieben, dafür unflätig von ihnen angekeift worden und vor einer Wasserwand gestanden, die ungemein beeindruckend war. Nicht schön: keinen Stempel von Brasilien in den Pass bekommen.

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Den nächsten, ganzen Tag volles Programm der Wasserfälle auf argentinischer Seite. Die Reiseagentur hatte die Dramaturgie sehr gut gesetzt: noch beeindruckender, noch größer, noch schöner. Die Garganta del Diablo ist das Mächtigste, was mir je an Wasserkraft untergekommen ist. Niagara kann einpacken.

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Mietwagen und erste Streckenabschnitte in Kanada gefixt. Toronto (kurz, auf dem Rückweg länger), Lake Ontario, Montreal. Den Verehrer dort wiedersehen (wenn er aufhört zu nerven). Fürs Erste.

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Noch einmal für die letzten beiden Tage in ein anderes Viertel umgezogen: Recoleta. Der edle Teil von Buenos Aires. Prachtbauten der reichen Vergangenheit, Parks, Nobelgeschäfte – ganz anders als das eher dörfliche und kleinbürgerliche San Telmo. Es ist ein unglaubliches Privileg, diese Unterschiede sehen und überhaupt diese ganze Reise genießen zu dürfen.

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Mit der syrischen Neu-Freundin asiatisch essen gewesen – und zwar Haute Cuisine! Ihr Credo: „Wenn ich schon kein Geld habe, dann will ich es wenigstens genießen.“ Ich werde sie vermissen. Und die spanische Neu-Freundin auch. Und die Stadt auch. Ich muss noch mal wiederkommen. Irgendwann.

WMDEDGT 06/17.

Wir haben Juni, es ist kalt in Buenos Aires, aber ich dokumentiere für die Nachwelt und Frau Brüllen natürlich gern, was ich eigentlich am 5. eines Monats den lieben langen Tag so mache.

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Der Tag begann früh, denn ich ging erst um fünf ins Bett. Zuvor hatte ich noch die Teller abgewaschen, die Rotweingläser mit Wasser zum Einweichen gefüllt und die Essensreste in den Kühlschrank gepackt. Die Dinnerparty war erst um kurz vor halb fünf zu Ende gegangen. Ich war sehr müde, aber ich mag es nun einmal überhaupt nicht, wenn die Küche aussieht wie ein Schlachtfeld. Egal, wo auf der Welt, da bin ich furchtbar preußisch veranlagt.

Ich ging erschlagen ins Bett und erwachte um halb zehn von einer WhatsApp-Nachricht einer Gästin der Dinnerparty, die sich noch einmal herzlich bei mir bedankte und mir schrieb, wie schade es sei, dass ich die Stadt schon bald wieder verlassen würde. Sie sei sehr gerne meine Freundin geworden. Ich bin grundsätzlich nicht leicht zur Freundin zu bekommen, das dauert manchmal Jahre, und zudem schätze ich doch die Unterscheidung zwischen Freundschaft und Bekanntschaft. Außerdem gibt es ja noch einmal die engen und weiteren Freunde, die Internetfreunde und -bekannten und Arbeitsfreunde.* In ihrem Fall aber habe ich mich sehr gefreut, denn wir haben so schnell einen guten Draht zueinander gefunden, sie, die Syrerin, die vor einem Jahr nach Argentinien kam und alles verloren hat bis auf die weit verstreuten Freunde und Familie. Ich mag ihren spitzzüngigen Humor, ihre Intelligenz und wenn sie sich erst freigetanzt hat, ist ihr orientalisches Schulterschütteln weltbewegend. *(Ich nehme jetzt einmal das generische Maskulinum, man verzeihe mir bitte, aber Sternchen und Binnenmajuskeln sind gerade aus.)

Ich dämmerte kurz ein, aber mein frisch erworbener Schnupfen und das Halsweh ließen mich bald wieder wach werden. Außerdem schickte der Verehrer seine morgendliche „Hallo meine Schöne, hast du gut geschlafen, was machst du heute, bist du glücklich, ich hoffe es, ich vermisse dich“-Nachricht. Ich gähnte ein wenig und ging ins Bad, um lange und ausgiebig zu duschen. Mein Tattoo tat noch ein wenig weh, aber mit einer guten Salbe klingen auch die kleinen Wunden schnell ab.

Mittlerweile war es halb elf und ich frühstückte Müesli und trank einen starken Kaffee dazu. Danach spülte ich die restlichen Gläser ab, zählte die leeren Weinflaschen und freute mich noch eine ganze Weile an dem wunderbaren Abend gestern. Mir ging es schlechter, der Kopf tat mir weh und ich verzog mich ins Bett, wo ich noch ein wenig vor mich hinlitt. Gegen halb zwei stand ich wieder auf und versuchte, noch ein wenig Ordnung in den halbfertigen Artikel für das Magazin zu bringen. Ohne Erfolg, mir fielen die Augen immer wieder zu und ich ging wieder ins Bett. Morgen muss ich fit sein, denn dann reise ich zu den Iguazu-Wasserfällen an der Grenze zu Brasilien.

Gegen halb fünf stand ich wieder auf und brachte endlich die Heizung im Wohnzimmer in Gang. Vom Vermieter bekam ich leider die schlechte Nachricht, dass ich nicht noch zwei Tage länger bleiben kann, denn dann ist die Wohnung bereits wieder vermietet. Nun muss ich mir für zwei Nächte eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Ich frage mal die Damen, ob eine von ihnen ein günstiges Hotel weiß. (Ich nehme auch ein teureres Hotel, aber zurzeit bin ich nicht so auf Luxus eingestellt.)

Ich setzte mich an den Esstisch in die unmittelbare Nähe der Heizung (Gasheizer, ich vermute, in der DDR wäre das als GAMAT-Heizung durchgegangen, aber ich kenne mich da nicht so aus, als Wessi), um noch ein bisschen Reiseplanung für Kanada zu betreiben. Ich habe einige Pläne umgeworfen und nun muss Uruguay leider unbesucht bleiben. Aber ich möchte einfach wieder ins Warme.

Gegen halb sieben stand meine Reiseplanung in groben Zügen, das Hotel für die erste Nacht in Toronto ist gebucht und einen günstigen Mietwagen für die Tour durch den östlichen und frankophonen Teil Kanadas finde ich auch noch. In den nunmehr vier (!) Monaten dieser Reise habe ich wieder gemerkt, dass mich eigentlich nur zwei Reiseformen wirklich glücklich machen: selbst bestimmt mit dem Auto durch das Land zu fahren (Neuseeland, Chile) oder mit dem Bus (bevorzugt in Asien, in Argentinien hat das leider zeitlich hingehauen). Ich freue mich schon sehr auf das Fahren in Kanada, auf Quebec und bin gespannt, ob ich es noch zu den letzten beiden Tagen des Francofolies-Festivals in Montreal schaffen werde. Und ob der Verehrer und ich und dann tatsächlich dort treffen werden… (Telenovela, Sie wissen schon.)

Dann ein für südamerikanische Verhältnisse frühes Abendessen um sieben. Ich kann mich definitiv nicht daran gewöhnen, erst nachts zu essen, selbst, wenn ich nachmittags noch eine „Once“ (Teilchen mit Kaffee in Chile) oder ein Alfajor, ein factura oder eine medialuna zum Mate (in Argentinien) bekomme. Und noch einmal ins Internet, um nach Flügen von New York nach Schottland zu suchen, wo ich mich am 16. August mit der besten Freundin treffen werde.

Um acht Uhr abends hatte ich das dann entsprechend koordiniert und einen günstigen Flug ergattert. Meine Rückreise nach Europa ist also festgelegt. Was ich in den noch knapp zwei Monaten bis dahin auf dem nordamerikanischen Kontinent anfange, wird sich zeigen. Ich schaute noch eine Folge der chilenischen Kuppel-Show „Match“, dessen zauberhaften bretonischen (!) Moderator ich doch gern mal im deutschen Fernsehen sehen würde. „Match“ ist soviel netter als Bauer sucht Frau oder vergleichbare Endemol-Produkte auf dem deutschen Fernsehmarkt.

Ich war um zehn Uhr so erledigt, dass ich nur noch schnell einige Sachen für die morgige Kurzreise packte und schlafen ging.

[Was schön war] #kw21/17.

Was in der vergangenen Woche schön war, nun aus Buenos Aires.

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Am liebsten entdecke ich Städte, indem ich sie einfach nur ablaufe, mich treiben lasse. Dann und wann stelle ich mich an eine Ecke und beobachte, höre, rieche. Ich wanderte an der Puerto Madero entlang und genoss die Sonne auf meinem Gesicht. Ein Hauch von Frühling im Spätherbst.

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Die Kurzreise nach Ushuaia, einem Sehnsuchtsziel seit mehr als 20 Jahren. Das Licht, die Berge, das Eis, die schneebedeckten Gipfel in der Ferne. Dazu die Leere der Landschaft, die doch wieder ganz anders ist als in Chile, wo die Menschen wie das Land viel erdiger und erdverbundener scheinen. In Ushuaia noch ein Stück näher an der Antarktis gewesen. Bei der Bootsfahrt am Heck gestanden und gedacht: wenn ich jetzt sterbe, ist alles okay gewesen, das war’s, du hast es geschafft.

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Die Rückkehr nach Buenos Aires und die bis in den frühen Morgen vertanzte Nacht mit der vergnügten Damenrunde. Die Herren in den Clubs sind überaus freundlich und beklagen sich nicht, wenn eine Gringa wie ich mal eine Tanzfigur verbaselt.

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Viele, viele Nachrichten vom Verehrer. Ich bin schon weiter weg als gedacht von dieser hübschen, kleinen Illusion. Ob die Telenovela es wirklich bis nach Kanada schafft?

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Mir einen alten Traum erfüllt und mir ein Tattoo stechen lassen. Auch, wenn wieder alle aufschreien „das ist ja so 90er“ – mir egal. Man sieht es ja nicht. Und der Gecko ist nur für mich alleine da und wird mich bis an mein Lebensende begleiten.

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Eine Dinnerparty gegeben. Coq au Vin, Artischocken mit Eierdip, Dulce de Leche-Eis und viele Flaschen Rotwein. Der alte Unifreund sang „Volver“, die indische Studentin tanzte einen Solo-Tango und einen traditionellen indischen Tanz, wir warfen Dartpfeile und lümmelten in der Hängematte in meiner temporären Wohnung. Gute Gespräche. Die verrückte Idee, einfach noch einmal hierher zurückzukehren und ein bisschen länger zu leben, vielleicht zu arbeiten. Auch so eine hübsche Illusion.

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Buenos Aires, meine Zeitkapsel, in der ich mich wohl fühle.

[Was schön war] #kw20/17.

Die Schönheit dieser Woche muss auf zwei Länder verteilt werden, denn nun bin ich in Buenos Aires und Santiago liegt hinter mir.

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Meine Kurzreise mit Jobanteil entpuppte sich als durchaus denkwürdig. Einen in Chile lebenden Reichsbürger samt Aluhutpreisverdächtigen Verschwörungstheorien live und in Farbe zu sehen und zu sprechen war fast zu viel für mich und meine Selbstbeherrschung. Den Termin dann doch mit Anstand und Würde hinter mich gebracht und darüber nachgedacht, wie viel von den Inhalten ich präsentieren möchte ohne dass es jobschädigend wird.

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So simple Dinge wie eine letzte Pediküre und Massage vor der nächsten Reiseetappe haben erheblich zum Wohlbefinden beigetragen und den Abschied ein wenig erleichtert.

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Eine tolle Frau getroffen, die ihr Leben selbst in der Hand hält. Die an jedem verdammten Samstag zusätzlich zu ihrem anstrengenden Job als Psychologin Chinesischunterricht genommen hat, um dann ein Jahr in Peking zu leben – einfach, weil sie es wollte. Wie schade, dass meine Zeit in Santiago vorbei ist – wir hatten sofort einen Draht und hätten uns die eine oder andere Nacht mit Tanzen um die Ohren schlagen wollen.

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Ich habe mich der lateinamerikanischen Pünktlichkeit mehr als angepasst und treffe nun endlich immer eine Viertelstunde nach dem vereinbarten Termin ein. Das hat dem Verehrer übrigens nicht gefallen. Ich habe tatsächlich den einzigen Chilenen abbekommen, der auf die Minute pünktlich ist. Das muss dieser binäre Sinn für Romantik der Informatiker sein.

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Am letzten Abend noch viel Lachen und ein paar traurige Momente mit dem Verehrer. Der frühe nächste Morgen des endgültigen Abschieds. Das mit ungewohnt gepresster Stimme in mein Ohr geraunte „te quiero“*, während der Taxifahrer die Taschen in den Kofferraum lud. Sein Gesicht, wie er im strömenden Regen vor dem Taxi stand. Der Moment, wie er seine Hand auf die Scheibe legte und ich die meine von innen dagegen. Kleine Bilder, die ich in mein Herz einschließe und mitnehme, weil sie Teil sind einer Romanze, wie sie eben sein sollte. Mit Anfang, viel Dazwischen, etwas Herzschmerz, dem Gefühl, da ist doch tatsächlich jemand, der einem leider viel zu ähnlich ist, um wirklich gut zu tun. Und einem Ende mit einem bisschen mehr Gefühl, als es einer kleinen Romanze eigentlich zusteht.

Sie wollten Telenovela? Bitte schön. Das war sie.

*das wollen wir mal bitte nicht überbewerten, das wird hier gern bei jeder Gelegenheit gesagt. Und nach drei Tagen werden die Herzschmerznachrichten via WhatsApp auch weniger.

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Gut in Buenos Aires angekommen, wurde ich am zweiten Abend vom alten Uni-Freund gleich auf eine Party mitgeschleppt. Auch hier bauen Sie bitte wieder eine Telenovela-Szene ein: ein Loft über den Dächern von Palermo, viele schöne, sehr polyglotte Menschen, Gespräche über Kultur, Kunst, Politik auf dem gleichen Niveau, Party bis um halb vier und die Polizei kam, Tanz und Bier und gutes Essen. Kontakte knüpfen.

Freude, in dieser Stadt genau das zu erleben.

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Am nächsten Tag mit drei zauberhaften Frauen aus Syrien, Indien und Spanien rausfahren ins Grüne und ausgiebig über Männer im Allgmeinen und Latinomänner im Besonderen lästern. Oder wie K. aus Kalkutta sagte: „It’s just that I tease them to please them. Then I finish my drink and go home for a good sleep.“ Ein guter Rat. Männer Argentiniens, seid gewarnt.

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Den Sonntag mit der in Argentinien lebenden Arbeitskollegin der besten Freundin verbringen. Eine kleine Party für das kommende Wochenende in meiner Wohnung planen. Eine Verabredung mit einer kleinen Brauerei für Handcrafted Beer nach deutschem Reinheitsgebot („wir haben gerade ein dunkles Hefeweizen angesetzt“).

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Die Vorfreude auf eine kleine Reise nach Ushuaia, seit mehr als zwanzig Jahren ein Ort mit magischem Namen für mich. Wahrscheinlich werde ich erfrieren, aber dann wenigstens am Ende der Welt. Das haben ja schon andere getan und sind in die Geschichte eingegangen.

[Was schön war] #kw19/17.

Was in der vergangenen Woche schön war… Diesmal wegen Müdigkeit in Kurzform.

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Die Wohnung am Montag wieder für mich ganz allein zu haben.

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Nach einer völlig bekloppten Kurz-Reise wieder wohlbehalten in Santiago angekommen zu sein.

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Nach einem Abend voller Missverständnisse mitten in der Nacht aufgestanden und gegangen. Das ist eine Freiheit, die ich mir nehme. Jederzeit. An jedem Ort. Wenn ich mich nicht wohlfühle, gehe ich. Wenn das den Verehrer zum Nachdenken bringt: umso besser. Dennoch: nicht mein Problem, wenn Männer nicht erwachsen werden wollen. Telenoveladrama kann ich auch.

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Eine tolle Frau kennengelernt. Couchsurfing ist auch ein ziemlich gutes Portal, um einfach nur gemeinsam Essen zu gehen, zu kochen und zu quatschen.

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Zum Flughafen gebracht worden und mit Küssen verabschiedet worden. Geht doch.

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In Valdivia gut angekommen zu sein, mit der Aussicht, spannende Menschen zu treffen.