Telenovela-Besetzungscouch.

Der hombre chilensis ist ja eine Art für sich. Höflich, zuvorkommend – das Türaufhalten gehört zum absoluten Standard -, hilfsbereit und mit im Vergleich zu den dem Latino-Klischee deutlich mehr entsprechenden anderen Südamerikanern zurückhaltendem Charme sehr angenehm. Aber! Laut einer Studie sind chilenische Männer die untreuesten in ganz Lateinamerika und deren weibliche Pendants stehen ihnen in nichts nach. Man treibt hier ganz allgemein keinen Raubbau an Gefühlen, das ganze Liebesding wird eher pragmatisch gesehen und langjährige Ehen funktionieren am besten, wenn jeder sein Ding macht. An und für sich kein Stoff, aus dem Latino-Telenovelas gestrickt sind. Mixt man da aber noch Frau Wortschnittchen dazu, Abenteurerin und dem männlichen Geschlecht in liebevoller Distanz zugetan, kann es interessant werden…

Für diejenigen, die später zugeschaltet haben, hier noch einmal ein kurzer Rückblick:

Der Verehrer
IT-ler, groß, schlank, bärtig, mit dunkelbraunen Augen und Grund genug, darüber nachzudenken, dass man ja nicht in Deutschland bleiben muss. Etwas mehr als ein Jahr ein mehr oder weniger treuer Begleiter, dem ich auf ewig dankbar sein werde, dass ich mich in ihn verlieben konnte und daraufhin meinem Leben einen ziemlichen Schubs gegeben habe. Kontaktstatus: wieder interessiert am Leben des jeweils anderen und nunmehr täglich kommentierend im Messenger. Telenovela-Rolle: unklar, der Mann im Dunkel, möglicherweise der ewige Dorn im Fleische des Herzens.

Der Caballero
Toningenieur bei Funk und Fernsehen. Tauchte auf, als der Verehrer ging. Klein, Bauchansatz, Bart, grünbraune Augen und mit türkisch-griechischen Vorfahren. Ein guter Begleiter für alle Lebenslagen, aber irgendwie… der Verehrer hatte mir mein Herz immer noch nicht zurückgegeben und der Caballero im Gegenzug einige charakterliche Mängel, die mich vorsichtig bleiben ließen. Immerhin: Man war fast eineinhalb Jahre zusammen, lebte fast fünf Monate sehr angenehm gemeinsam und letztendlich schied ich ohne Gefühlsverluste aus der Beziehung, als ich mehrfach Lügen aufdeckte. Kontaktstatus: mit dem Austausch Wohnungsschlüssel gegen Klamotten aus dem Leben gestrichen, Wiederaufnahme unnötig und vorerst unerwünscht. Telenovela-Rolle: keine

Der Journalist
Groß, schlank, bärtig, Charaktergesicht und Charaktertyp. Kurze Kennenlernphase während der Quarantäne-Einschränkungen und sehr starkes gegenseitiges Interesse, das nicht ausgelebt wurde. Kontaktstatus: er schaut jede meiner Stories sofort an und beobachtet mich. Telenovela-Status: unklar, der (möglicherweise) unerreichbare Mann, der beruflich irgendwie verbunden bleibt und der den Konjunktiv repräsentiert.

Der Wundertütenmann
Groß, schlank, bärtig, grüne Augen, konservativer Hippie, der immer für eine Überraschung gut ist, Landbewohner, Lehrer, Unternehmer, Vater und Besitzer von vier (!) Bernhardinern. Sofortige Sympathie, vom ersten Treffen an reisen wir in Lichtgeschwindigkeit durch die Ereignisse. Sofortige Integration in sein Leben, Partner in Crime-Verdacht. Auto ohne Bremsen. Kontaktstatus: ständig. Telenovela-Status: unklar, möglicherweise auf Crash-Kurs wegen zu hoher Geschwindigkeit, aber der Mann für den Moment.

Episodenrollen
Der Sportlernachbar, der Knochenbrecher und weitere Protagonisten, die zu treuen Begleitern wurden, aber es nicht zu einer länger dauernden Rolle schafften.

Ich hoffe, Sie sind nunmehr informiert und bleiben dabei.

Gezwitscher.

Sie wollten doch wissen, wie es mir gerade geht. Das wollten Sie doch, oder? Na, es ist ja auch nicht relevant, schließlich schreibe ich schon seit 15 Jahren meine Befindlichkeiten im Internet auf. Und es hat noch niemandem geschadet. Also.

So ein Leben im Ausland, auf einem anderen Kontinent, in einer anderen Kultur und Sprache ist eine Herausforderung. Täglich. Stündlich. Minütlich. Das fängt an mit der Planung, wann und wo und wie ich mit welchem Verkehrsmittel an den gewünschten Ort gelange. In Santiago ist das noch relativ simpel, hier funktionieren Busse wie U-Bahnen in der Regel ohne größere Probleme, jedenfalls, wenn man die Berliner Verkehrsbetriebe und ihre diversen Unzulänglichkeiten gewohnt ist. Alles sehr ähnlich, nur die Massen, mit denen man in den Verkehrsmitteln zu tun hat, sind andere. Ich bin mit meinen 1,65 m nicht eben groß, aber in Südamerika rage ich über den Durchschnitt der Köpfe hinaus, zumal mich meistens mit High Heels unterwegs bin. Das gibt einem eine ganz neue Sicht auf die Welt. Und dann ist es auch nicht mehr so schlimm, dass ich nur eine Sardine unter vielen Sardinen in der Peak Hour der U-Bahn bin.

Schulstunden beginnen pünktlich, also muss ich meine Wege eben besser planen und größere Pufferzeiten einbauen. Nicht nur deshalb habe ich mir letzte Woche ein Auto gekauft. Ich kaufe quasi gerade das Leben meiner Vermieterin auf, die im September für sehr lange Zeit nach Spanien gehen wird und Dinge loswerden möchte. Also auch ihr Auto samt Tiefgaragenplatz. Wir haben gehandelt und festgestellt, dass wir uns sehr ähnlich sind, sowohl was Charakter als auch die aktuelle Umbruchssituation betrifft, und waren uns recht schnell einig. Das Auto also wird mich in Zukunft unabhängiger von diversen öffentlichen Verkehrsmitteln machen und mir den ein oder anderen Eskapismus ermöglichen.

Die Arbeit an der Schule ist nach wie vor eine Herausforderung. Projekte lassen sich manchmal schlicht aufgrund zu vieler Feiertage oder einer Woche Austauschschülerbespaßung nicht so umsetzen wie gewünscht. Dann muss ich neu denken, neu organisieren und den ursprünglichen Plan eben einfach fallen lassen. Lehrinhalte orientieren sich eben nicht nur am Plansoll und fixen Themen. Nichtsdestotrotz hatte ich mich vor den „Winter“ferien bei einer anderen deutsch-chilenischen Institution beworben und habe nun in der kommenden Woche ein Vorstellungsgespräch. Beruflich läuft also alles mehr oder weniger so, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Die private Telenovela muss ebenfalls umgeschrieben werden. Es gibt wie immer neue Protagonisten, Verhältnisse müssen neu definiert werden, andere Drehorte, Dramen und Damen-Wahl inklusive. Die Damen-Wahl ist die wohl größte Annehmlichkeit meines hiesigen Daseins. Man(n) steht auf mich. Und zwar nicht, weil ich leidlich gut aussehe, nett und unterhaltsam bin, sondern weil ich hier EXOTISCH bin. Ja, Sie haben richtig gelesen. Ich bin eine Exotin, auch wenn ich mit meinen dunklen Haaren eher weniger auffalle als eine blonde Europäerin. Mir wird der rote Teppich ausgerollt, wo ich nur hinkomme. Sei es von den Herren, die mich gern ausführen möchten, sei es von den Damen, deren Interesse sehr herzlich daherkommt, sei es von Institutionen, die mir die Tore öffnen, von deren Durchschreiten ich in Deutschland nur träumen konnte. Es ist eine Art positiver Rassismus, der mir hier begegnet. Alles Deutsche ist  (mehr oder weniger) gut, also muss ich auch gut sein. Es befremdet mich mitunter, aber ich genieße es eben auch. Weil es die Dinge, die Planung, das Bewältigen der Herausforderung „Leben und Arbeiten im Ausland Ü45“ so viel einfacher macht.

Nichtsdestotrotz sind Herzensdinge ganz unabhängig von Herkunft und Sprache eine diffizile Sache und so leiden der Verehrer und ich unter einer veränderten emotionalen Großwetterlage, die wir so nicht wollten, die sich aber nun nicht mehr ändern lässt. Gut, dass er für einige Tage außer Landes ist. Das wird uns die nötige Distanz bescheren, um wieder aufeinanderzugehen zu können. Denn was einem das Einleben in einer fremden Kultur am meisten erleichtert, sind Freunde. Richtige, gute Freunde. Und das wollen wir beide bleiben. Dafür sind wir gemacht.

Schlüssel.

„Hier hast du den Schlüssel“, sagt der Verehrer und drückt mir einen Schlüsselbund in die Hand. Ich hätte jetzt also die Gewalt über seine Wohnung, seine Schrankinhalte. Die Schlüsselgewalt. Wer hätte das gedacht. Sowas kommt von sowas. Das ist in Telenovelas immer so.

Von sowas war an jenem Karfreitagabend 2017 auf der Dachterrasse des Hostels in Valparaiso noch nichts zu ahnen. Ich war  der Großstadtüberforderung in Richtung Meer entflohen. Dort angekommen, machte ich das übliche Sightseeing, speiste vorzügliches Thunfischsteak und kaufte mir zwei Bier im Späti. Danach beschloss ich, diese seltsame Ansammlung von feiernden Menschen im Hostel genauer in Anschein zu nehmen. Drei frisch examinierte  Traveller aus Deutschland, drei nicht mehr ganz frisch examinierte Chilenen, eine Truppe älterer Franzosen und ich verstanden uns bei Asado (Massen von Grillfleisch), Rotwein, Bier und einigen großzügig geteilten Joints relativ schnell relativ gut. Besonders mit den Franzosen schwatzte ich munter drauflos, denn nach zwei Wochen Chile und Sprachkurs verstand ich vom hiesigen Idiom immer nur noch knapp die Hälfte.

Was dann irgendwann auch egal war, denn: wir sangen. Völlig egal, was, Bob Marley zur Klampfe geht ja immer, und insbesondere der sehr hochgewachsene Barthipster da sang überaus gut. Bisweilen kreuzten sich unsere Blicke, wir lächelten uns kurz an. Aber wie das so ist, wenn man gerade mal knapp ein Dreivierteljahr verwitwet, Mitte Vierzig und lang dem Flirten abhold war (wenn nicht schon immer, mir fehlt da offenbar ein entsprechendes Flirtgen), die fremde Sprache nicht mal ansatzweise beherrscht und überhaupt: ich legte es unter „so sind sie halt, die Latinos“ ab.

Am nächsten Morgen war von den Truppen nichts zu sehen, denn ich hatte mich gegen drei Uhr sehr, sehr müde verabschiedet und die Party ging sicherlich noch bis zum Morgengrauen weiter. Erst am Ostersonntag zum Frühstück bekam ich ihn wieder zu sehen. Er saß alleine am Tisch und wie das so ist, als gelernte Deutsche setzt man sich nicht einfach dazu, sondern parkt sich an einen Nachbartisch. Gesellschaft leistete mir dann aber schnell die Hostelchefin, die mich schon am Vortag quasi adoptiert hatte. Wir schwatzten ein bisschen radebrechend über unsere Witwenschaft, das Leben im Allgemeinen und Besonderen, während am Nebentisch die Ohren sichtbar wuchsen. Nach dem Frühstück fragte er mich, ob ich Lust hätte, zurück in Santiago mal etwas Essen zu gehen.

Wir gingen Essen. Wir gingen Trinken. Wir tanzten. Wir entdeckten ziemlich viele Gemeinsamkeiten. Ich begann, ihn meinen „Verehrer“ zu nenne. Ich war seine „Schöne“. Nach meiner Abreise aus Chile verabredeten wir uns im Juli in Montreal, wo wir weitertanzten, sangen und frühstückten. Davor und danach schickten wir uns jeden Tag unzählige Nachrichten, telefonierten und hielten uns auf dem Laufenden, wie es uns denn so ginge. Wir gingen auch mit anderen aus, aber wir blieben immer der Verehrer und die Schöne. Dann organisierten wir transkontinental einen gemeinsamen Urlaub. Nach sieben Monaten des Nichtsehens von 0 auf 100 war dieser für uns eine Belastungsprobe, aber überwindbar. Er nannte mich seine „sture Deutsche“. Ich nannte ihn „Verrückter“. Meine Entscheidung, mich in Chile zu versuchen, wollte ich dennoch nicht von einem Mann abhängig machen. Deshalb ging ich auf Distanz, zu seinem Unverständnis.

Noch mehr – verständliches – Unverständnis erntete ich nach meiner Immigration, als ich erst einmal mit einer Freundin zu deren Familie reiste, ohne mich sofort mit ihm zu treffen. Eine beleidigte Woche später sahen wir uns wieder, wir aßen zusammen, tranken zusammen, gingen tanzen, mit Freunden essen, auf Konzerte, ins Kino und hielten Händchen in jeder Hinsicht. Er nennt mich seinen „kleinen, sturen Albtraum“, ich nenne ihn weiterhin den Verrückten. Nun habe ich den Schlüsselbund des Verrückten und schließe die Türe auf.

Sie wollten es ja wissen, wie die Telenovela begann. Das haben sie jetzt davon.

 

[Was schön war] #kw23/17.

Und wieder ein neues Land, wieder eine neue Reiseedition von Schönem der vergangenen Woche.

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Abschiedsabend mit den Damen in Buenos Aires. Wie wunderbar, diese Frauen kennengelernt zu haben. Und wie wunderbar wäre es, wenn wir uns wiedersehen könnten. Eine Verabredung dazu haben wir jedenfalls, und wir haben uns auf Sommer oder Frühling in Buenos Aires geeinigt. Winter oder Herbst braucht dort keiner.

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In einem halbleeren Jumbo von Buenos Aires nach Houston eine ganze Reihe für mich zum Schlafen gehabt. Gut und tief geschlafen, bis mich der Steward sehr nett weckte, um mir zu sagen, dass ich sonst mein Frühstück verpasse.

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Gut in Toronto gelandet und dort einige ziemlich mitgenommene T-Shirts und Kleinkram gegen Neuware gewechselt. Einen sehr schönen Bikini gefunden. (Sie glauben ja gar nicht, wie schwierig man es hat, wenn man obenrum etwas mehr Holz vor der Hütte besitzt, aber der Unterbrustumfang eher mittelgroß ist.) Von der Mietwagenfirma von Klein- auf Mittelklassewagen geupgradet worden, weil: „der Kleinwagen ist heute früh zu Schrott gefahren worden“. Jetzt bin ich mit einem BMW-Derivat eines japanischen Herstellers unterwegs und mit dem ersten Einschalten des Tempomaten auf dem Highway in Richtung Montreal beginnt die schleichende Rentnerwerdung.

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Der Verehrer wurde ungeduldig, weil er seinen Urlaubsplan ummodeln musste. Wegen mir. Damit wir uns noch einmal sehen können. In Montreal, wo er bei seiner Schwester urlaubte. Ich wurde ungeduldig, weil ich mich nicht drängen lassen mag. Beinahe hätten wir uns schon vor dem Treffen in die Haare bekommen. Aber dann wurde alles doch einfach und klar, und das Schicksal und ein bisschen guter Wille von zwei Seiten schenkten uns zwei Tage und Nächte miteinander. Was auch immer uns verbindet – es war und ist gut so.

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Abschiede sind niemals schön. Auch, wenn der Verehrer fragt: „Und wo treffen wir uns das nächste Mal? Im Kongo?“ Er behauptet ja steif und fest, dass wir uns wiedersehen werden. Aber das hat er schon beim letzten Abschied gesagt.

Oh. Wait.

(Und ich habe auch fast nicht geweint. Er auch nicht.)

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Das AirBnB hat eine Waschmaschine. Ganz großes Glück auf Reisen.

[Was schön war] #kw20/17.

Die Schönheit dieser Woche muss auf zwei Länder verteilt werden, denn nun bin ich in Buenos Aires und Santiago liegt hinter mir.

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Meine Kurzreise mit Jobanteil entpuppte sich als durchaus denkwürdig. Einen in Chile lebenden Reichsbürger samt Aluhutpreisverdächtigen Verschwörungstheorien live und in Farbe zu sehen und zu sprechen war fast zu viel für mich und meine Selbstbeherrschung. Den Termin dann doch mit Anstand und Würde hinter mich gebracht und darüber nachgedacht, wie viel von den Inhalten ich präsentieren möchte ohne dass es jobschädigend wird.

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So simple Dinge wie eine letzte Pediküre und Massage vor der nächsten Reiseetappe haben erheblich zum Wohlbefinden beigetragen und den Abschied ein wenig erleichtert.

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Eine tolle Frau getroffen, die ihr Leben selbst in der Hand hält. Die an jedem verdammten Samstag zusätzlich zu ihrem anstrengenden Job als Psychologin Chinesischunterricht genommen hat, um dann ein Jahr in Peking zu leben – einfach, weil sie es wollte. Wie schade, dass meine Zeit in Santiago vorbei ist – wir hatten sofort einen Draht und hätten uns die eine oder andere Nacht mit Tanzen um die Ohren schlagen wollen.

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Ich habe mich der lateinamerikanischen Pünktlichkeit mehr als angepasst und treffe nun endlich immer eine Viertelstunde nach dem vereinbarten Termin ein. Das hat dem Verehrer übrigens nicht gefallen. Ich habe tatsächlich den einzigen Chilenen abbekommen, der auf die Minute pünktlich ist. Das muss dieser binäre Sinn für Romantik der Informatiker sein.

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Am letzten Abend noch viel Lachen und ein paar traurige Momente mit dem Verehrer. Der frühe nächste Morgen des endgültigen Abschieds. Das mit ungewohnt gepresster Stimme in mein Ohr geraunte „te quiero“*, während der Taxifahrer die Taschen in den Kofferraum lud. Sein Gesicht, wie er im strömenden Regen vor dem Taxi stand. Der Moment, wie er seine Hand auf die Scheibe legte und ich die meine von innen dagegen. Kleine Bilder, die ich in mein Herz einschließe und mitnehme, weil sie Teil sind einer Romanze, wie sie eben sein sollte. Mit Anfang, viel Dazwischen, etwas Herzschmerz, dem Gefühl, da ist doch tatsächlich jemand, der einem leider viel zu ähnlich ist, um wirklich gut zu tun. Und einem Ende mit einem bisschen mehr Gefühl, als es einer kleinen Romanze eigentlich zusteht.

Sie wollten Telenovela? Bitte schön. Das war sie.

*das wollen wir mal bitte nicht überbewerten, das wird hier gern bei jeder Gelegenheit gesagt. Und nach drei Tagen werden die Herzschmerznachrichten via WhatsApp auch weniger.

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Gut in Buenos Aires angekommen, wurde ich am zweiten Abend vom alten Uni-Freund gleich auf eine Party mitgeschleppt. Auch hier bauen Sie bitte wieder eine Telenovela-Szene ein: ein Loft über den Dächern von Palermo, viele schöne, sehr polyglotte Menschen, Gespräche über Kultur, Kunst, Politik auf dem gleichen Niveau, Party bis um halb vier und die Polizei kam, Tanz und Bier und gutes Essen. Kontakte knüpfen.

Freude, in dieser Stadt genau das zu erleben.

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Am nächsten Tag mit drei zauberhaften Frauen aus Syrien, Indien und Spanien rausfahren ins Grüne und ausgiebig über Männer im Allgmeinen und Latinomänner im Besonderen lästern. Oder wie K. aus Kalkutta sagte: „It’s just that I tease them to please them. Then I finish my drink and go home for a good sleep.“ Ein guter Rat. Männer Argentiniens, seid gewarnt.

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Den Sonntag mit der in Argentinien lebenden Arbeitskollegin der besten Freundin verbringen. Eine kleine Party für das kommende Wochenende in meiner Wohnung planen. Eine Verabredung mit einer kleinen Brauerei für Handcrafted Beer nach deutschem Reinheitsgebot („wir haben gerade ein dunkles Hefeweizen angesetzt“).

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Die Vorfreude auf eine kleine Reise nach Ushuaia, seit mehr als zwanzig Jahren ein Ort mit magischem Namen für mich. Wahrscheinlich werde ich erfrieren, aber dann wenigstens am Ende der Welt. Das haben ja schon andere getan und sind in die Geschichte eingegangen.

Kleine Roman(z)e.

Macht aus meinem Leben doch einen Rosamunde-Pilcher-Roman, habe ich mal aus Spaß beim Posten eines wirklich sehr schönen Fotos dazugeschrieben und gleich ermahnt, man möge bei der Rollenvergabe bitte die Neubauer und die Ferres auslassen. Die Hauptrolle müsste an eine nicht mehr ganz junge Frau gehen, ein bisschen vom Leben gebeutelt, aber willens, das, was noch davon übrig ist, in die Hand zu nehmen. Also vielleicht die Gedeck, die spielt ja sehr reduziert. Obwohl sie mir manchmal einen Tick zu bitter um den Mund ist, denn der Roman soll ja auch ein bisschen Romantik haben. Und jetzt habe ich in einem Satz doch tatsächlich Tick, Roman und Romantik untergebracht, das soll mir doch mal einer nachmachen.

Jedenfalls. Wir haben da ein paar gute Zutaten für einen Abend voll Kitsch, Tränen, Lachen, schöner Landschaft, exotischer Landschaft, weiter Landschaft, noch mehr Landschaft. Und Pferde. Die müssen sein. Der Mann dazu darf gern auch von der exotischeren Sorte sein und wenigstens einen Abgrund haben, der erklärt, warum er mit Ende 30 immer noch Single ist oder wieder, bis auf die erklärten Differenzen. Die Heldin überlegt noch, ob sie das überhaupt interessiert, denn eigentlich hat sie ihr Leben ganz gut in der Hand und muss jetzt nun wirklich, aber auch wirklich gar nicht, schon wieder für einen anderen mitdenken. Außerdem ist die Sprachverwirrung groß. Was meint er denn jetzt, wenn er sie zu einer sehr speziellen Frau für sich erklärt? Irgendwas sieht er in der Heldin, in mir, ich kann mir das nicht erklären, das passt alles überhaupt nicht, das soll nicht passen und Buchdeckel haben auch nur begrenzt Geduld für solcherlei Dinge. Der Abschied dräut und wir klammern uns noch ein wenig aneinander, gleich den fallenden Blättern draußen, denn es ist Herbst in seinem Land.

Und so bleibt es wohl bei einem Romänchen oder einem Romanzchen, ich tauge nicht für die großen Dramen, nicht mehr, deren hatte ich genug im Leben.

Gefühlskater.

Den ganzen Tag schon sitzen die Tränen locker, ganz kurz vorm Rauspurzeln. Allein der Wille hält sie im Auge. Was ist nur los? Es gab so viel Lachen gestern, vielleicht ist das der Kater, ein Gefühlskater, den es nun zu überwinden gilt. Ich mag Katzen, aber geh mir weg mit Katzenjammer, das muss ich jetzt wirklich nicht haben. Ich bin so empfindlich gerade, alles wird dreimal durchdacht, hin- und hergewendet zwischen dem Möglichen und dem Tatsächlichen. Ein falsches Wort und die Dämme brechen, naturgemäß wischt die Flut alles weg. Dann wieder bin ich furchtbar wütend. Warum ich, warum so und warum nicht anders, warum muss das denn sein? Ich spreche im Präsens, gleiches gilt für die Vergangenheit. Nur die Zukunft, die bekommt noch ein Fragezeichen und kein Warum, wir befinden uns hier schließlich auf dem Jahrmarkt der Möglichkeiten, von dem der Eitelkeiten ganz zu schweigen.

Was fehlt: einer, der mich hält, der mich liebt und dem Gefühlskater einen mächtigen Tritt in den Allerwertesten versetzt.

Über das Vermissen.

Und dann nimmst du beim Aufräumen eine Packung Porridge aus dem Vorratsschrank und hörst dich sagen: „Wie kannst man nur so einen Pamp essen“. Die oft darauf gegebene Antwort „weil es mir schmeckt“ bleibt er schuldig. Weil er nicht mehr da ist. Als du im Internet nach Vergleichspreisen für das zu verkaufende Auto suchst, siehst du einen Alfa Spider. Und du denkst an die Ausflüge, als ihr gemeinsam über Land gefahren seid, gute Musik an und den Wind in den Haaren. Als dir der Schraubenschlüssel auf den Fuß fällt, sagst du kurz „aua“ und willst schon meckern, weil der ja nun wirklich nichts im Regal mit dem Schuhputzzeug zu suchen hat. Es wird keiner mit einem Lachen in der Stimme antworten, dass das genau der richtige Platz für einen Schraubenschlüssel sei. Leerstellen tauchen unvermittelt aus dem Nichts auf.

Gedankentunnel zu einem Toten.

Am Meer auf der Mole.

Der letzte Abend. Was macht man an einem Urlaubsabend, bevor es wieder zurück geht, in den November, in das kalte, triste Grau? Heute vor vier Jahren war es unser letzter Abend in Mexiko, auf Yucatán. Um genau zu sein, auf der Insel Holbox. Nachdem wir zweieinhalb Wochen kreuz und quer durch Yucatán gefahren waren, Maya-Pyramiden bestiegen, durch Urwald-Naturschutzgebiete wanderten, im Lagunendickicht schwammen (ich), deshalb um mich bangten (er), uns mit Mennoniten in Hopelchen unterhielten und zum Abschluss ein wenig Hippie-Flair auf Holbox genossen.

Wir nahmen zum Sonnenuntergang einen gut gemixten Gin&Tonic, aßen die beste sizilianische Pasta der Welt (ja, ja, ich weiß, aber wir konnten keine Burritos mehr sehen) und gingen in der Dunkelheit am Strand spazieren. Wir kamen an eine kleine Mole, und dem Mann fiel nichts besseres ein als wie ein Teenager das Handy auf laut zu stellen und Maná zu spielen. En el muelle de San Blas.

Ella despidió a su amor.
El partió en un barco en el muelle de San Blas.
El juró que volvería,
Y empapada en llanto ella juró que esperaría…
Miles de lunas pasaron,
Y siempre ella estaba en el muelle,
Esperando…
Muchas tardes se anidaron,
Se anidaron en su pelo
Y en sus labios.

Llevaba el mismo vestido
y por si él volviera no se fuera a equivocar.
Los cangrejos le mordían
Su ropaje, su tristeza y su ilusión…
Y el tiempo se escurrió,
Y sus ojos se le llenaron de amaneceres.
Y del mar se enamoró,
Y su cuerpo se enraizó
En el muelle.

Sola,
Sola en el olvido.
Sola,
Sola con su espíritu.
Sola,
Sola con su amor el mar.
Sola…
En el muelle de San Blas.

Su cabello se blanqueó
Pero ningún barco a su amor le devolvía.
Y en el pueblo le decían,
Le decían la loca del muelle de San Blas.
Y una tarde de abril
La intentaron transladar al manicomio;
Nadie la pudo arrancar,
Y del mar nunca jamás la separaron.

Sola,
Sola en el olvido.
Sola,
Sola con su espíritu.
Sola,
Sola con su amor el mar.
Sola…
En el muelle de San Blas.

Sola en el olvido.
Sola con su espíritu.
Sola con su amor el mar.

Sola,
Sola en el olvido.
Sola,
Sola con su espíritu.
Sola,
Sola con su amor el mar.
Sola…
En el muelle de San Blas.

Se quedó…
Se quedó…
Sola, sola.

Se quedó…
Se quedó…
Con el sol y con el mar.

Se quedó ahí,
Se quedó hasta el fin.
Se quedó ahí,
Se quedó en el muelle de San Blas.

Sola, sola, sola.

Wir tanzten zusammen darauf, ein wenig ungeschickt, denn vor einigen Tagen hatte der Mann am rechten Bein eine Muskelzerrung entdeckt, wie er sagte. Dass es wieder ein Tumor sein würde, hat er wohl gewusst.

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Wenn ich gewusst hätte, was die folgenden Jahre bringen würden, wer weiß, ob ich nicht einfach auf der Mole geblieben wäre. Versteinert, auf das Meer blickend und darauf wartend, dass der Liebste unverändert und wie unversehrt zurückkehrt. So webt sich nur die Erinnerung in mein Haar, weiß wird es, immer mehr, und ich sehe in Gedanken aufs Meer hinaus und warte, warte, warte.

Dass heute Totensonntag ist muss Ironie des Schicksals sein.

All(Tag).

Langsam werden die Häuser niedriger, die herbstlich bunten Bäume dichter, und endlich verlässt der Zug die große Stadt. Felder ziehen an mir vorüber, kleine Dörfer. Eigenheimsiedlungen für die Großstadtmüden, die nur ein ganz klein wenig an amerikanische Vorstadthöllen erinnern.

Der Regen bettet alles in ein weiches Tuch. Tropfen an der Fensterscheibe ziehen sich zu langen Wasserschlieren und über allem singt Anna Depenbusch:

Stumm und leise gehst Du auf die Reise
Schwerelos, ziehst Du Kreise durchs tiefblaue All
Du schaust in die Ferne, Du brauchst nur die Sterne
Astronauten sind gerne, für sich allein

Ich schaue in den Himmel und denke an den Astronauten, der mich so lange begleitet hat. Er zwinkert mir zu und nimmt meine Hand. „Komm“, sagt er, „ich nehme dich mit, willst du mit mir fliegen?“ Und ich fliege mit ihm, die Regentropfen peitschen mir ins Gesicht, bis sie zu Eis werden und mit einem kleinen, zärtlichen Geräusch an meiner Haut zerplatzen und zurück zur Erde fallen. Höher, immer höher, wir verlassen den Mantel, der die Erde umgibt.

Zwischen Planeten spielst Du blinde Kuh
Unbeschreiblich diese Aussicht, dieses Licht
Du jagst nach Raketen und bunten Kometen
Nur das Leben hier unten siehst Du nicht

„Halt“, sage ich. „Ich möchte das nicht. Ich will zurück. Da unten ist das Leben. Lass mich los.“ Er schaut traurig. Dann nickt er. „Geh“, antwortet er und gibt mir einen kleinen Schubs. Ich falle, falle immer schneller. Ich stürze, gleich werde ich aufschlagen und zerschmettert auf dem Boden liegen, in kleinen Eiskristallen verstreut, die langsam schmelzen. Bis nichts mehr von mir übrig ist.

„Die Fahrkarten, bitte.“

Adieu, Astronaut. Ich mache mich auf meine Reise. Aber ich sehe manchmal in den Himmel und zwinkere dir zu.