Kunde.

Die erzwungene, krankheitsbedingte Auszeit hat mir auf jeden Fall genügend Zeit zum Nachdenken und neue Entscheidungskraft gegeben. Zum zweiten Mal in meinem Leben habe ich dann kurz vor der Rückkehr in den Arbeitsalltag gekündigt, ohne einen neuen Job zu haben. Ich wollte diese Arbeit, dieses langsame, intellektuelle Ausbluten, die erzwungene Isolation in einem Einzelbüro ohne Sparringspartner einfach nicht mehr. Und außerdem wollte ich mit dem Mann mehr Zeit verbringen, Zeit, die wir möglicherweise nicht mehr haben. Ein bisschen Reisen, gemeinsame Unternehmungen, Haushaltspflege. Ich dachte an zwei, drei Monate, bevor ich mich möglicherweise wieder aufmachen würde, um einen – gegebenenfalls auch geringer qualifizierten – neuen Job zu suchen. Es wäre mir egal gewesen, was, ich bin ganz gut darin, zu verkaufen, ich berate gern, bleibe in der Regel höflich und kann deeskalieren. Kurz: ich wäre die ideale Call-Center-Tante. Sowas in der Art. Ich habe aber nicht weiter darüber nachgedacht.

Denn irgendwie wollte mich urplötzlich ein anderer Arbeitgeber, Weiterlesen

Alltagsmarginalien (6).

An sich bin ich für meine/n Arbeitgeber ja die ideale Kranke. Denn ich werde nur äußerst selten krank und wenn, dann schiebe ich das Siechtum so weit als möglich hinaus, bis ich wieder gesund bin. Es sei denn, ich bin komplett aus dem Verkehr geschossen. Seit vier (!) Wochen hat mich nun der Onkel Doktor aus dem Arbeitsalltag entfernt. Ich arbeite trotzdem von zuhause aus, weil schließlich nur mein Fuß nicht kann und darf, aber mein Kopf umso besser. Gestern nun war allerdings der Punkt angekommen, an dem weder mein Kopf, noch mein Magen und auch nicht mein Verdauungsapparat konnten und wollten. Zu allem Übel hatte mich wohl ein Noro-Virus oder so etwas außer Gefecht gesetzt. Ich schlief, stand auf, kotze, fallte durch, schlief, stand auf, kotzte… und so weiter. Ich war regelrecht abwesend, wohl auch, weil ich kaum etwas essen und trinken konnte. Was dazu führte, dass ich weder E-Mails las und beantwortete noch Telefonate annahm. Was wiederum dazu führte, dass ich heute vier(!) besorgte Mails und zwei Anrufe in Abwesenheit von meinen Kollegen vorfand. Das ist einerseits schön, weil man sich Sorgen macht, andererseits aber: ich fühle mich schuldig, weil ich so egoistisch „richtig“ krank bin und nicht kann. Das soll so nicht sein.

 

Alltagsmarginalien (5).

Es ist heute vermutlich kaum zu glauben, aber damals (TM) im Hessen der 80er Jahre konnte man tatsächlich mit einem Kunstleistungskurs Abitur machen. Was ich auch tat. Es gab zwar noch weitere, anspruchsvollere Fächer, aber nun ja. Kunst konnte ich eben. Zumindest zeichnen. Mode- oder Produktdesign schien mir durchaus erstrebenswert als Studienwahl, man könnte ja auch Kunstgeschichte oder irgendwas mit Werbung. So dachte ich damals. Herausgekommen ist dann im weitesten Sinne irgendwas mit Werbung, und jetzt bin ich halt Museums- oder Zirkusdirektorin (nennen Sie mich ruhig Head of Dings, das umschreibt das aktuelle Arbeitsgeschehen eigentlich am besten).

Aber zurück zur Kunst. Ausmalen ist der neue Trend, für Erwachsene, es werden ja sogar die Stifte knapp. Stiftnotstand in Deutschland, im Land der Faber-Castells, der Textmarker, stellen Sie sich das mal vor! Ts. Und wieder zurück zur Kunst. Ausmalen hat eher weniger was mit Kunst zu tun, aber als ich das wunderbare Büchlein von der wunderbaren Frau Cucina Casalinga als Anti-Sofakoller-Mittel gesandt bekam, war ich doch entzückt: Mode! Künstlerische Entwürfe und Adaptionen populärer Vogue-Modelle! Und das mir, die ich doch mit dem Mann sehr gern flotte Screwball-Komödien der 50er und 60er Jahre sehe und Mad Men als echtes Highlight der Filmausstattung empfinde!

Es kam, wie es kommen musste: ich nahm meine Buntstifte zur Hand und fing an, die Modelle auszumalen. Weiterlesen

Alltagsmarginalien (4).

So eine erzwungene Auszeit hat mitunter seltsame Auswirkungen. Zum Beispiel mein Tagesrhythmus. Ich bin ja eher eine „Eule“. Ein Morgen ohne Kaffee ist ein verschenkter (und für meine direkte Umwelt schwieriger) Morgen, ich komme am späten Vormittag in meine sozialkompatible Phase und nachmittags zwischen 15 und 17 Uhr bin ich unglaublich gut im Texte schreiben. Dafür halte ich abends länger durch. Meine Schlafenszeit ist zwischen halb 12 und halb eins.

(Sie merken: wir haben keine Kinder.)

Ich zwinge mich aber mit preußischer Disziplin zum frühen Aufstehen, Miteinanderreden und arbeiten, mit ganz unterschiedlichen Qualitäten und Ergebnissen.

Aber zurück zur Eule. Seit Beginn meiner Bänderriss-Auszeit verschiebt sich mein Tagesrhythmus eindeutig in Richtung meiner chronobiologisch angelegten Eulen-Gene. Vor halb neun bin ich nicht wach, ich lege gern nochmal ein Mittagsschläfchen auf dem Sofa ein und komme ansonsten definitiv noch später ins Bett als vorher.

Ich verlottere. Oder mein Körper will es so. Nein, meine GENE wollen es so! Und wer kann schon gegen seine Anlagen? Ich muss da wohl dringend was an meinem Tagesrhythmus ändern, wenn ich wieder arbeitsfähig bin.

 

Gelee.

An manchen Tagen kommt es mir vor, als müsste ich durch Gelee schwimmen. Jeder Schlag, jede Bewegung kostet mehr Kraft als nötig. Der Weg zur Straßenbahn scheint sich zu biegen, als ob er mir noch andere Richtungen in meinem Leben aufzeigen wollte. Angekommen im Büro, scheint das Ziel nicht näher zu kommen, die Gedanken zerrinnen zu einem zähen Brei.

Gelee-Tage.

Alltagsmarginalien (3).

Ich war ein Hotelkind. Meine besten Urlaubsfreunde hießen Jean, der Concierge, und Dogge, die Dogge. Oder Massimo, der Koch, und Gianni, der Skiwachser. Meine Verbündeten im jeweiligen Urlaubshotel ertrugen meine phänomenale Neugierde ebenso freundlich wie meine vielfältigen Versuche, den mich umgebenden Dingen in der fremden Sprache nachzuspüren. Lästig bin ich hoffentlich nur selten gewesen, jedenfalls kann ich mich an keinen Vorfall erinnern, anlässlich dessen meine Eltern zu besserer Aufsicht ermahnt worden wären. Ich lief halt so mit.

Bisweilen erlauben der Mann und ich uns den Luxus, ein Wochenende in einem besseren Hotel zu übernachten, gern auch verbunden mit ausgezeichnetem Essen.* Wir sparen dann nicht, sondern genießen so wunderbare Features wie Fußbodenheizung im Bad, eine große Badewanne oder eine gut gefüllte Minibar.

Was mich aber immer wieder an mir selbst ein ganz klitzekleines bisschen beschämt: ich schaue auf den Etagenfluchtplänen immer noch nach, ob es doch noch größere Zimmer als unseres geben könnte.

Machen Sie das eigentlich auch?

 

*Eine Empfehlung ist auf jeden Fall das Hotel „Kleines Meer“ in Waren (Müritz), das neben einer ausgesprochen geräumigen Junior Suite auch eine hervorragende Küche vorzuweisen hat. Und Waren ist hübsch, es gibt ein, zwei gute Schuhgeschäfte und eine nette Landschaft vor der Tür. Fahren Sie mal hin, das tut dem Aufbau Ost immer noch gut.

Alltagsmarginalien (2).

Der 8. März ist internationaler Frauentag. Bis zur Wende und auch noch eingie Jahre danach bin ich damit überhaupt nicht in Berührung gekommen. Erst, als ich – noch Studentin – bei einer Hausverwaltung im Osten der Stadt arbeitete, bekam ich am 8. März von meiner Chefin eine Rose mit den Worten „Herzlichen Glückwunsch zum Frauentag!“ Ich fragte nach und bekam als Antwort, das sei so üblich und früher hätte man dann an diesem Tag freigemacht und sei Tanzen gegangen. Schöner Brauch, dachte ich und vergaß den Tag über der Arbeit sofort wieder.

Im vergangenen Jahr war ich dann selbst die Chefin, die ihren Mitarbeiterinnen Rosen zum Frauentag schenkte. Ebenfalls ohne weitere Gedanken an den Hintergrund dieses Tages. Wertschätzung für ihre Arbeit an diesem Tag war mein Grund, ihnen eine Blume zu schenken. An anderen Tagen aber waren es mal Donuts oder Pizza oder Pralinen, ganz ohne Prädikat eines internationalen (Feier-)Tages. Ich weiß auch nicht, warum ich mich dabei unwohl fühle, nur an einem ganz bestimmten Tag meine Wertschätzung auszudrücken. Geschlechterungerechtigkeit wird davon nicht besser, gekämpft werden muss um gleichen Lohn, gleiche Rechte und gleiche Pflichten jeden einzelnen Tag des Jahres. Ich verweigere mich dem Postulat Feminismus wie allen anderen -ismen, die ich nicht für mich und meine Umwelt als wichtig erachte. Kämpfen und aufstehen heißt: Laut sein, keine Kompromisse eingehen, knallhart um seinen Lohn feilschen und vor allem heißt es „immer“.

Heute fühlte ich mich nicht unwohl, als ich die Blumen schenkte. Ich mag meine Kolleginnen und würde ihnen gern mehr Verantwortung, mehr Perspektiven und Entwicklungssprünge ermöglichen. Da ich das derzeit nicht kann, schenkte ich Rosen.

Besser macht es diesen Tag für mich nicht. Aber auch nicht schlechter.

Alltagsmarginalien (1).

Meine tägliche Tramfahrt dauert in der Regel sieben Minuten und beinhaltet alles, was man morgens noch vor neun Uhr nicht haben möchte. Ungewaschene, Schlechtgelaunte, Drängler, Müde, Wache, … – kurz: Menschen. Was mich besonders auf zwei, mir in meiner morgendlichen Soziopathie besonders ungeliebte Exemplare bringt: die Ungewaschenen und die Wachen/Wachtelefonierer.

Bei den Ungewaschenen bin ich mir nicht so sicher: allgemein mangelndes Hygieneempfinden oder Abendduscher? Abendduscher sind mir ohnehin ein Rätsel. Ich kann es riechen, ob jemand morgens nicht geduscht hat oder sich (in meiner Kindheit war das ja üblich) nur die entsprechenden duftrelevanten Stellen gewaschen hat. Das ist so ein Grundgeruch, nichts schlimmes, aber es riecht eben nach einem ganz leichten Nachtschweißfilm mit einer käsigen Note. Ganz selten mischt sich noch eine Liliennoten hinein. Halten Sie mich ruhig für bekloppt, aber das ist nun mal meine Nase, die das so riecht.

Die Wachen indes hasse ich. Besonders die Wachtelefonierer. Was morgens so an Betriebsinterna und Absprachen ins Handy geplaudert wird! Wahre Gleichberechtigung haben wir übrigens erst erreicht, wenn die telefonierenden Businesskasper eine 50:50 Quote haben. Eine kleine Umfrage auf Twitter gab dem weiblichen Pendant übrigens den sehr schönen Namen „Businessgretel“. Ich verweigere berufliche Gespräche, bevor ich im Büro angekommen bin, auch als Führungskraft. (Ach, das wäre ja auch ein hübsches Thema der Alltagsminimalien: Work-Life-Balance und Wichtigkeitspostulate. Na, vielleicht beim nächsten Mal.)

Raumreisen.

„Raus hier. Ich gehe jetzt in meinen Gedächtnispalast.“
(Sherlock Holmes, BBC-Produktion)

Im etwas schwülstig eingerichteten Boudoir mit den goldbrokatenen Sitzkissen auf dem Samtdiwan sitze ich und schnuppere mit leicht tropfender Nase an einem Räucherstäbchen. Indien, denke ich, Indien könnte es sein. Aber Indien ist es nicht. Das Indien, durch das ich vor elf Jahren reiste, gibt es nicht mehr und wie der Mann immer sagt: keine Wiederholungen.

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Also laufe ich ein paar Schritte nach nebenan und genieße die Kühle der blauornamentenen Wandkacheln, streiche über ihre blanke Oberlfäche und horche dem Zwitschern der kleinen Vögel nach, die im Atrium aus den Wasserschalen trinken. Marokko. Diesmal aber Essaouira, am besten zum Musikfestival, auch wenn dann die Hotelpreise explodieren. Gnaoua-Musik entdecken, sich verlieren in sich wiederholenden Melodien. Dazu eine kleine Taubenpastete oder eine saftige Tajine. Am Strand entlang wandern. Nein, Marokko ist es nicht.

Meine Erinnerungsräume, eingerichtet ganz nach meinem Geschmack, angefüllt mit Reisen, Gerüchen, Gefühlen, Menschen. Es gibt noch so viele leere Räume.

Iran. Warum eigentlich nicht? Iran wird es sein.