Wir haben dann ein Einzelzimmer bekommen. Eines mit einer schönen Aussicht in den Park mit den alten Klinikgebäuden von Ludwig Hoffmann, deren Backsteinklinker schon fast einen hanseatischen Touch nach Preußen bringen. Man kann in den Himmel sehen und die Mauersegler fliegen fast auf Fensterhöhe. Manchmal hört man sogar einen Falkenruf, wenn nicht gerade der Notfallhelikopter die Hintergrundbeschallung übernimmt.
Sonst herrscht hier Ruhe. Die Ruhe, die vielleicht benötigt wird, um gehen zu können, um loszulassen und um Abschied zu nehmen. Die Schwestern kommen nur, um nachzufragen, ansonsten haben wir alles auf das Notwendigste reduziert. Mein temporäres Bett ist auf der rechten Seite des Bettes des Mannes, genauso, wie wir auch Zuhause schlafen würden: ich am Fenster auf der rechten Seite, er auf der linken. Wir haben beide unsere Kopfkissen von Daheim mitgebracht. So ist das auch im Urlaub, wir sind ja jetzt in diesem Alter.
Urlaub. Fast könnte man sich vormachen, es sei hier ein etwas skurriles Hotelzimmer im Sanatoriumsstil oder eine Reha-Einrichtung, und kein Sterbezimmer. Aber das langsame und mühevolle Atemholen, die Sauerstoffzugabe erinnern auch bei geschlossenen Augen immer daran, das dies unsere letzte gemeinsame Reise ist. An deren Ende ich ihn alleine weiterreisen lassen muss und er mich.
Das ist nicht schön, und wäre ich auch nur einen Hauch weniger nüchtern veranlagt, fielen mir sicherlich noch einige Trauerredner-Metaphern ein. Aber in solchen Situationen ist alles ohnehin klar und überdeutlich und ein Takt, der stetig und unbestechlich weiterschlägt. Ohne Gnade.
Die einzige Gnade geben Medikamente. Ich danke der klassischen Medizin und der Pharmaforschung auf Knien dafür, dass sie es schaffen, das Gehen so zu erleichtern, dass alles in einem angenehmen Dämmerzustand erlebt werden kann, ganz ohne Schmerzen. Und natürlich mit guter Musik.
Der Mann hat mir gerade noch erklärt, wie sein superduper Abspielgerät mit HighRes-Funktion geht, damit ich sein musikalisches Erbe hören kann. Sie glauben nicht, wie viele Dateien in so ein kleines Gerät passen! Er lässt Sie übrigens schön grüßen, die Internetgemeinde, an der er nur periphär teilnahm, aber immer auch hier mitlas. Es ist wie Zuhause, er hört Musik, ich tippe und lese im Internet. Das ist unser Sein, im Moment, und war es wohl immer.
Es bleibt nur das Dasein, das da sein, das hier sein, bei ihm sein. Mehr ist nicht mehr. Nur das Gehen, das kommt noch.

